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Der Dreissigjaehrige Krieg

Der Dreissigjaehrige Krieg

Titel: Der Dreissigjaehrige Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Pieper Johannes Saltzwedel
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machen. Wenigstens ließen sie den Protestanten diesmal eine Kirche.
    An die Ereignisse der Belagerungszeit soll eine Statue in einer Nische der alten Stadtmauer erinnern: der, wie die Schwaben sagen, »Schtoinerne Ma«. Jener »Steinerne Mann« zeigt sich als einarmiger Geharnischter mit schneckenförmigen Extremitäten; in der Linken hält er einen Brotlaib. Generationen von Schulkindern wurde über das Monstrum erzählt, es erinnere an einen Bäcker, der während der Hungersnot von einer Bastion aus den Belagerern höhnisch ein aus Kleie oder gar Sägemehl gebackenes Brot über dem Kopf geschwenkt habe, um zu zeigen, man könne noch lange aushalten. Ein Geschoss, das dem Mann den Arm zerschmetterte, habe ihm den Spott vergolten. Die Belagerer aber, so das dem wirklichen Geschehen widersprechende gute Ende der Legende, hätten entmutigt ihren Abzug genommen. Übrigens kannte wohl auch der junge Bert Brecht, der die Figur auf dem Schulweg ins Realgymnasium täglich sehen konnte, die Sage. Sie mag ihn zur Beschäftigung mit dem Dreißigjährigen Krieg angeregt haben. So ist der »Steinerne Mann« womöglich ein Pate der »Mutter Courage«. Brechts »Augsburger Kreidekreis« hat ja tatsächlich die dramatischen Ereignisse von 1634/35 zum Hintergrund.
    Sie trafen die Wirtschaftskraft Augsburgs ins Mark; für immer ausgespielt war seine Rolle als Kulturstadt europäischen Ranges. Eine Volkszählung zeigte, dass gerade noch 16.422 Menschen überlebt hatten, gegenüber gut 45.000 vor dem Pestzug von 1628. Vor allem die Unterschichten waren dezimiert worden. Seuchen hatten sich der schmächtigen, schlecht genährten Körper der Armen leichter bemächtigen können als der noch einigermaßen gut gestopften Leiber jener, die das Geld gehabt hatten, zu Phantasiepreisen in die Stadt geschmuggeltes Brot oder ein Stück Dörrfleisch zu ergattern.
    Besonders gelitten hatte die Weberschaft, Augsburgs bei weitem wichtigstes, wenngleich stets krisenanfälliges Handwerk. Von 2000 Weberhaushalten, in denen einst gut 9000 Menschen gelebt hatten, waren nur ein paar Hundert übriggeblieben. In dem Jahrzehnt, das auf das Wintergrauen von 1634/35 folgte, herrschte unter der Knute katholischer Besatzungen bleierne Ruhe. Fürs Erste verzog sich der Krieg. Lebensmittel waren günstig zu haben. Obwohl die Geburtenraten langsam wieder anstiegen, waren ja viel weniger Menschen zu ernähren als vor dem Krieg.

    Quelle: ULLSTEIN BILD
    Überfall auf ein Dorf: Kavallerist jagt Bauern
    (Radierung von Hans Ulrich Franck, um 1650)
    Tote essen kein Brot, sie zahlen freilich auch keine Steuern. So mussten die Überlebenden den zwar siechen, aber noch nicht verendeten Krieg ernähren. Immer wieder pochten die Einnehmer an die Türen, zogen den Augsburgern die letzten und allerletzten Kreuzer aus dem Sack. Dazu kamen die leidigen Einquartierungen. Nach wie vor drängte der Quartiermeister den Bürgern arrogante Offiziere und ungehobelte Söldner unter die Dächer. Dennoch, allmählich schien die schöne Langeweile des Friedens zurückzukehren. Dass Chroniken wie die Jakob Wagners wortkarg werden, manchem Jahr nur ein paar Zeilen widmen, ist Indiz dafür.
    Wie gestaltete sich damals das Alltagsleben? Für die meisten spielte es sich in schlecht beheizten, dunklen Räumen ab. Mit dem ersten Morgenlicht ging es an die Arbeit; erst nach Sonnenuntergang ruhten Weberschiff und Maurerkelle. So ließen sich Schmer für Kerzen und Holz sparen. Das Nachtlager – Strohsäcke, über die dünne Leintücher gebreitet waren – teilten Schlafende und Liebende mit Heerscharen von Wanzen und Flöhen. Die Küche des »gemeinen Mannes« war selbst an guten Tagen ziemlich eintönig. Breie und Wassersuppen bestimmten sie, dazu ein immer wiederkehrendes Einerlei von Kraut und Rüben, Gemüse, das von jenen endlosen Feldern geerntet wurde, die Montaigne bei der Weiterreise nach München auffielen. Wer noch Zähne hatte, riskierte sie im Kampf mit hartem Roggenbrot.
    Kulinarische Glanzlichter setzten Würste, Innereien oder Stockfische – Gaumenfreuden, die sich nur gelegentlich in die Schüsseln verirrten. Kräftige Gewürze sollten das strenge Aroma madenzerfressenen alten Fleisches übertönen. Den Durst stillten Wasser, Milch und abgestanden schmeckendes Braunbier. Wein galt als Delikatesse, aber auch als Arznei. Unzählige Krankheiten von Zahnweh und Gicht bis zu Schlimmerem machten den Menschen der Kriegszeit, wie Andreas Gryphius in einem berühmten Gedicht schreibt,

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