Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift
soll man sowas nachholen: ein ganzes Leben, ohne dass besondere Anlässe gefeiert wurden?«
»Ich verstehe nicht, was das mit Alice zu tun hat«, bemerkte meine Mutter.
»Oder mit den diversen Vorspiegelungen bei Ihrem Anruf«, fügte mein Vater hinzu.
Ich sagte: »Ich war da auch beteiligt. Ihr tut alle so, als wäre ich nur zufällig davon betroffen.«
»Das warst du auch«, sagte Ray. »Du warst in der Arbeit, als ich sie anrief - ohne dein Wissen oder Einverständnis.«
Sylvie machte mir ein Zeichen mit den Augenbrauen und legte den Finger auf den Mund.
»Danke«, sagte Ray. »O. K. Wie einige von Ihnen vielleicht gehört haben, war ich schon mal verheiratet. Nur Alice weiß, dass diese Heirat nicht das war, was sie sein sollte. Meine erste Frau hat mich unsere ganze Ehe hindurch mit einem Arbeitskollegen betrogen. Es versteht sich wohl von selbst, dass das sehr schmerzlich war und sehr … na, wie sagt man …?«
»Entmännlichend?«, meinte Sylvie.
»Nein. Eher ironisch «, sagte Ray. »Weil, wenn ich über Marys Umtriebe Bescheid gewusst hätte, bevor sie starb und nicht erst hinterher, dann hätte ich nicht so gelitten, als sie von mir ging. Ich hab ein ganzes Jahr meines Lebens als trauernder Witwer verschwendet.« Er erhob die Hand, um die Frage abzuwehren, die man von den Lippen meines Vaters förmlich ablesen konnte. »Ich weiß«, sagte Ray, »Sie glauben, Alice sei der erste warme Leib gewesen, der gerade greifbar war, als mein Trauerjahr zu Ende ging. Aber so war’s nicht. Freunde überschütteten mich mit Telefonnummern, ja mit Frauen - luden mich zum Abendessen oder auf einen Drink ein -, und was passiert, wenn ich da hinkomme? Überraschung! Schon wieder ein arrangiertes Rendezvous, noch eine Arbeitskollegin oder Cousine der Frau des Freundes. Aber es hat sich nichts getan, hier« - er klopfte sich auf die linke Brust -, » Nada . Bis ich eines Tages ins Krankenhaus ging - nicht, weil ich krank war: Ich bin gesund und stark wie ein Pferd - und entdeckte, dass es eine ganz andere Sorte Frau gibt, eine, die sich nicht an einen Mann ranmacht, oder flirtet oder überhaupt weiß, wie man das macht. Eine, die nur ihren Beruf kennt.« Er lächelte verlegen. »Ich muss zugeben: So was hatte ich noch nie gesehen. Von diesem Moment an dachte ich nur mehr an eines: Wie schaffe ich es, diese unglaubliche Frau auf mich aufmerksam zu machen?«
Der Kopf meiner Mutter drehte sich automatisch und diagnostisch zu mir und dann zu Ray zurück.
»Diese unglaubliche Frau, die Ärztin war und eine strahlende Zukunft in finanzieller Unabhängigkeit vor sich hatte«, ergänzte mein Vater.
»Ich hoffe«, sagte Ray, »das ist jetzt keine zarte Andeutung, dass Sie mich für einen Mitgiftjäger halten.
»Zart würde ich nicht gerade sagen«, murmelte Sylvie.
»Was ich wissen will, ist Folgendes«, sagte mein Vater. »Wenn alles mit rechten Dingen zuging und nicht einfach nur ein abgekartetes Spiel war, Alice unter unserem Radarschirm zum Altar zu schleppen, warum haben Sie dann heimlich geheiratet und anschließend so getan, als hätten Sie’s nicht getan?«
»Bin ich der Einzige, der glaubt, das liegt auf der Hand?«, fragte Ray. Er trat zu meinem Stuhl und streichelte meine Hand. »Ich weiß, es sieht aus, als wäre das Ganze aus einem Impuls heraus geschehen, aber es war reines Zeit-Management. Wie Sie wissen, arbeitet Ihre Tochter wie eine Besessene. Als sie es schaffte, zwei Tage hintereinander frei zu bekommen - was, wenn man es in Ärzte-Sprache übersetzt, zwei Wochen entspricht -, gingen wir aufs Standesamt. Und als sich der Staub dann gelegt hatte, und wegen meiner gefühlsmäßigen Erfahrungen der Vergangenheit, da tat es uns Leid, dass wir keine richtige Hochzeit hatten, und insbesondere, dass wir nicht die üblichen Wege beschritten hatten. Ich versteh gar nicht, warum alle sich daran festbeißen. Wir sind durchgebrannt, weil wir’s romantisch fanden, und - trotz meines bereits erwähnten Mangels an Respekt für meine frühere Frau - musste ich auch daran denken, ob eine große Sause wirklich das Richtige für einen Witwer war. Aber dann, als alles vorbei war, stellte sich heraus, dass eine Heirat auf dem Standesamt doch ziemlich deprimierend war, so ganz ohne Verwandte, ohne Blumen, ohne Musik, noch nicht mal einen Händedruck zum Abschluss, oder Flitterwochen. Da habe ich mir gesagt: ›So’ne Kacke! Was hab ich mir eigentlich dabei gedacht? So kann man doch nicht heiraten!‹ Ach ja, beinah
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