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Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift

Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift

Titel: Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elinor Lipman
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Empfehlungsschreiben ausstellen.«
    »Du könntest sagen: ›Ich kenne ihn gar nicht‹, oder: ›Warten wir doch, bis Alice kommt.‹«
    »Oder: ›Ich höre Geräusche aus der Wohnung, die auf ein ziemlich turbulentes Eheleben schließen lassen.‹«
    »Tu dir keinen Zwang an«, sagte ich. »Meine Mutter würde nicht mit der Wimper zucken.«
    »Jetzt bin ich aber gespannt«, sagte Sylvie.
     
    Auf einmal stand ich allein mit Dr. Charles Greenleaf Hastings im Fahrstuhl. »Was macht Ihr Rücken?«, fragte ich.
    Er knurrte: »Ich lasse mich durch Ihre verdeckten Anspielungen auf diese desaströse und bedauerliche Nacht nicht einschüchtern.«
    »Was macht Ihr Rücken?«, wiederholte ich.
    Er hieb mit dem Daumen mehrmals auf den Fahrstuhlknopf mit der Nummer 6.
    »Yoga ist gut«, fuhr ich fort. »Aber natürlich ist Bettruhe das Allerbeste.«
    »Nein, wie schlau wir sind.«
    Die Tür öffnete sich bei 4, um einen Sanitäter einzulassen, der einen älteren Patienten im Rollstuhl, mit spärlichem Haarwuchs und einem Umschlag mit Röntgenaufnahmen, vor sich herschob. Hastings entfloh vorzeitig dem Fahrstuhl. Er rumpelte an den neuen Passagieren vorbei, ohne sich zu entschuldigen.
    »Ignorieren Sie ihn«, sagte ich, als die Tür sich geschlossen hatte. »Er ist berühmt für seine Grobheit.«
    »Chirurg, stimmt’s?«, fragte der Sanitäter.
    »Er musste fliehen, weil ich ihn einschüchtere«, erklärte ich.
    »Cool«, sagte der Sanitäter.
    » Die ist aber redselig«, sagte der Patient.
    »Eigentlich gar nicht«, sagte ich.
     
    Auf einem Zettel stand: »Wir sind drüben. Brauchten mehr Stühle. S.«
    Ich klopfte und trat ein. Meine Eltern saßen auf der Couch. Sylvie hockte auf einer Armlehne, eine Schachtel Pralinen auf dem Schoß. Alle drei lauschten der Verteidigung, im blauen Blazer und Hemd mit Button-down-Kragen, die offenbar gerade ihr Eröffnungsplädoyer hielt. Nie zuvor hatte ich Ray Russo aufrichtiger, ernster erlebt, nie hatte er das Visier des Verkaufsprofis so weit hochgeklappt. Als er mich in der Tür stehen sah, blickte er hoch. Er stürzte nicht auf mich zu, um mich zu umarmen oder zu küssen und damit den richtigen Effekt im Gerichtssaal zu erzielen. Stattdessen präsentierte er mir ein entschuldigendes Lächeln, das sagte: Schau dir mal an, in was ich da hineingeraten bin! Schwieriges Publikum. Aber da muss ich durch. Jetzt hält mich nichts mehr auf.
    »Bleibt ruhig sitzen«, sagte ich.
    Trotzdem kam es zu einer Unterbrechung der Sitzung, als alle mich begrüßten. Ray holte einen Stuhl aus der Küche. Sylvie tat so, als nehme sie meinen Mantel, damit sie mir zuflüstern konnte: »Ray wusste nicht, dass sie wussten, dass die Hochzeit schon stattgefunden hat, also hat er das ›Warum ich Alice heiraten will‹-Liedchen angestimmt und trägt immer dicker auf.«
    »Wie war dein Tag, mein Schatz?«, fragte Ray.
    »Setz dich«, sagte mein Vater. »Mr. Russo wollte uns gerade diesen ganzen Zirkus erklären.«
    »Will noch jemand etwas trinken, bevor wir fortfahren?«, erkundigte sich Sylvie.
    »Wasser«, sagte ich.
    »Alice hat das alles schon gehört«, fing Ray an. »Also fasse ich mich kurz. Die Sache ist die: Meine Mutter war noch ein Kind, als sie mich bekam. Sie und mein Vater sind durchgebrannt, weil ihre Eltern verlangten, dass sie das Kind - mich - zur Adoption freigibt. Aber sie waren über beide Ohren verliebt. Kein Mensch hat geglaubt, dass sie es schaffen, denn auf beiden Seiten drehten ihnen die Eltern den Geldhahn zu. Mein Vater bekam einen Job als Tankstellenwärter, und meine Mutter arbeitete in einem Kaufhausrestaurant, bis sie ihren Bauch nicht mehr verstecken konnte. Damals waren schwangere Frauen in der Öffentlichkeit nicht so gern gesehen wie heute. Also blieb sie wieder daheim in der Einzimmerwohnung, die noch kleiner war wie die hier -«
    »Ist das hier irgendwie von Bedeutung?«, fragte mein Vater.
    »Unbedingt«, erwiderte Ray. »Damit kommen wir nämlich zum entscheidenden Punkt: nämlich mein Verhältnis zu Feiern. Ich hatte Eltern, die selbst fast noch Kinder waren und sich mit ihren Familien überworfen hatten. Keine Geschenke für Mutter und Baby, keine Party nach meiner Taufe, keine Geburtstagspartys, wenn man den Muffin mit der Kerze drin und den Eisbecher von Hood nicht zählt. Es brauchte Jahre und noch ein paar Kinder, bevor meine Großeltern sich blicken ließen, und das war hauptsächlich deshalb, weil meine Eltern sich inzwischen getrennt hatten. Aber trotzdem, wie

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