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Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift

Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift

Titel: Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elinor Lipman
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gelassen hat - dass Mary mich betrog und glaubte, niemand käme ihr auf die Schliche.«
    »Aber warum jetzt erst?«
    »Weil sie eine große Klappe hat. Ich habe mit ihr telefoniert und erzählt, ich habe jemand kennen - und möglicherweise habe ich sogar gesagt lieben - gelernt. Und schwupps! kam die ganze hässliche Wahrheit zutage. Was sie vermutlich eigentlich sagen wollte, war wohl: Lass die Vergangenheit hinter dir.«
    »Aber selbst wenn es stimmt, was ändert sich dadurch für dich?«
    »Na, alles! Momentan besuche ich in schöner Regelmäßigkeit ihr Grab und gehe zur Kirche. Mache ich so weiter - Anbetung der heiligen Maria - oder versuche ich, rauszubekommen, was hinter der Sache steckt?«
    »Diese Bernadette meint es nicht gut mit dir. Warum solltest du irgendwas von dem glauben, was sie dir erzählt?«
    Ray beugte sich zu mir und sagte ruhig: »Weil es plausibel klingt.«
    »Vergiss es einfach«, riet ich ihm. »Bestell dir was zum Essen und ein Bier, und wir wechseln das Thema.«
    »Ich glaube, du weißt nicht, was das bedeutet. Hier geht’s nicht um Kleinkram. Das ist eine Riesenneuigkeit. Meine ganze Ehe hindurch, die ganzen drei Jahre, die wir zusammen waren -«
    Jetzt war ich diejenige, die erstaunt von der Speiskarte aufsah. »Sagtest du drei Jahre?«
    »Wir kannten uns drei Jahre. Verheiratet waren wir sechzehn Monate, die mir rückblickend immer wie verlängerte Flitterwochen vorkamen.«
    »Wahrscheinlich dachte ich -«
    »Weil ich so fassungslos war? Und auch ein Jahr nach ihrem Dahinscheiden noch so betrübt?«
    Ich wies ihn darauf hin, dass sechzehn Monate keine Ewigkeit waren. Wenn Mary ihn also die ganze Ehe hindurch betrogen hatte, dann sei das eine relativ kurze Periode der Untreue gewesen.
    Ray nahm eine Serviette aus dem Ständer und schnäuzte sich. »Ich habe mein Ehegelöbnis sehr ernst genommen, und es überrascht mich einigermaßen, dass du Marys Partei ergreifst.«
    Ich erwiderte, dass ich keineswegs Marys Partei ergriffe, sondern lediglich alle Aspekte der Sachlage prüfte. »Vielleicht hatte sie keine andere Wahl. Vielleicht war es sexuelle Belästigung.«
    »Quatsch! Sexuelle Belästigung. Mary war hart wie Stahl. Niemand machte sich an Mary heran, wenn er keinen Tritt zwischen die Beine riskieren wollte.«
    Und schon war die nächste geistige Neubewertung fällig. Diesmal von fügsamer Ehefrau und zukünftiger Mutter von Rays Kindern zu Rockerbraut. Ich fragte, wie alt Mary bei ihrem Tod gewesen sei.
    »Achtundzwanzig. Sie mochte ältere Männer. Der Typ von der Arbeit, Patrick, der war zweiundfünfzig. Das muss man sich mal vorstellen. Sie hatte schon so einen Vaterkomplex, aber das machte mir nichts aus. Wenn ich fünfzehn Jahre älter war, und ihr das gefiel - na, warum denn nicht?«
    Endlich materialisierte sich eine Kellnerin an unserem Tisch. »Ich nehme den Hamburger mit Münsterkäse und karamellisierten Zwiebeln, ohne Salat und Tomaten«, sagte Ray. »Und irgendwas vom Fass.«
    Es folgte die Aufzählung einer langen Reihe von Marken und Sorten, und zu guter Letzt war auch das Richtige dabei.
    »Für mich nichts im Moment«, sagte ich. »Später vielleicht was Süßes.«
    »Nichts zu trinken?«, fragte die Kellnerin.
    »Sie ist Ärztin«, erklärte Ray. »Sie trinkt nicht, wenn sie Bereitschaft hat.«
    »Zu uns kommen eine Menge Ärzte«, sagte die Kellnerin mit einer Kopfbewegung in Richtung meines Krankenhauses.
    Als sie gegangen war, sagte ich zu Ray: »Ich habe gar nicht Bereitschaft. Du brauchst keine Ausreden zu erfinden.«
    »Weißt du, warum ich das tu? Ich bin so verdammt stolz, dass du Ärztin bist. Deshalb suche ich wahrscheinlich ständig nach einer Gelegenheit, das zu verkünden.«
    Wenn seine Gefühle nicht schon durch die geschilderte Offenbarung erschüttert gewesen wären, hätte ich ihm vielleicht gesagt, dass ich Anstoß an seiner Benutzung des Wortes stolz nähme. Dass es ein Wort für Eltern, Lehrer, Mentoren sei. Und für einen selbst - im stillen Kämmerlein. »Wir haben zwar schon darüber gesprochen, aber vielleicht sollte ich es wiederholen: Mir wäre es lieb, wenn du nicht lügen würdest.«
    »Lügen? Weil ich der Kellnerin sage, dass du Bereitschaft hast? Stimmt das vielleicht nicht? Arbeitest du vielleicht nicht rund um die Uhr? Hast du heute nicht den ganzen Tag gearbeitet und gehst morgen bei Sonnenaufgang wieder hin?«
    »Schon«, musste ich zugeben.
    »Dann wäre das wohl geklärt: keine Lüge.« Er lächelte, als die Kellnerin mit einem

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