Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift
den Vorhängen. »Verzeihung«, sagte die Frau. »Ich liege im Bett nebenan und habe alles mitgehört, es ging gar nicht anders. Dürfte ich fragen, ob der Vater des Kindes Kaukasier ist?«
»Was?«, fragte Amber.
Bevor ich Kaukasier definieren oder einen Satz bilden konnte mit der Aufforderung, die Frau möge sich um ihren eigenen Kram kümmern, fuhr die schon fort: »Ich kenne Leute, die versuchen verzweifelt, ein Baby zu adoptieren. Ich könnte den Kontakt herstellen.«
»Das ist eine Sache für Sozialarbeiter und Adoptionsvermittlungen und … und … verantwortungsbewusste Erwachsene.«
»Stimmt nicht«, behauptete die Zimmergenossin. »Privatadoptionen können durch einen Anwalt arrangiert werden.«
»Genug«, sagte ich zu ihr. »Ich bitte Sie. Das Mädchen ist sechzehn.«
»Er ist weiß«, meldete sich Amber zu Wort. »Seine Mutter auch. Seinen Vater hab ich nie gesehen.«
»Was macht sein Vater?«, fragte die Frau.
»Bitte bringen Sie sie nicht durcheinander.«
Als die Zimmergenossin sich wieder auf die andere Seite des Vorhangs zurückgezogen hatte, sagte Amber: »Ich dachte, vielleicht geht so eine offene Adoption, wo die Eltern einem einmal im Jahr einen Brief schreiben und ein Foto schicken. Und wenn ich einmal meine eigene Wohnung habe, kann sie in den Schulferien zu mir kommen.«
»Ich bin sicher, die Behörden werden ein tolles Paar aussuchen, das sich über all das Gedanken machen wird.«
»Schauen Sie sie sich einmal an. Sie werden sie ja reinlassen. Sie sind doch Ärztin, oder? Sie können doch zu ihr hinein.«
»Auch du kannst zu ihr. Jederzeit. Du bist die Mutter.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Du möchtest, dass ich gehe und dir alles erzähle?«
»Ihr Gesicht war irgendwie geschwollen. Ich will wissen, ob da was nicht in Ordnung ist, oder ob das von der Geburt kommt.«
»Bist du sicher, dass du nicht mit mir kommen willst? Du solltest dir auch ein bisschen die Beine vertreten.«
»Mach ich morgen. Ich hatte schlimme Krämpfe, fast so schlimm wie bei der Geburt.«
»Das ist ganz normal. Die Tabletten sollten aber jetzt gleich zu wirken beginnen.«
»Kommen Sie nachher wieder.«
Und wer redete und gurrte da auf das Quinlan-Baby in seiner unvorteilhaften lavendelblauen Mütze ein und massierte ihr mit seinem großen Finger den Rücken? Niemand anderes als Pfleger Leo Frawley.
»Wie geht’s ihr?«, fragte ich.
»Gut. Kurzer Zwischenstopp auf dem Weg ins Säuglingszimmer für die großen Mädchen.«
»Alles normal?«
»Ja. Atmet selbstständig, trinkt, macht brav ihr Geschäftchen. In vierundzwanzig Stunden ist sie wieder draußen.«
Ich erzählte ihm, dass ich in der Notaufnahme gewesen sei, als ihre Mutter mit Unterleibsschmerzen gekommen sei und diese als Wehen identifiziert hatte.
»Gutes Auge.«
»Es war gar nicht so eindeutig wie’s klingt. Ich meine, sie hätte auch einfach ein dickes Mädchen mit Appendizitis sein können.«
»Und wie doof muss man als Eltern sein? Wo, oder auf welchem Trip waren die, dass sie nicht mitgekriegt haben, dass ihre Tochter schwanger ist?«
»Das klingt aber gar nicht nach dem Leo, den ich kenne.«
»Ich hab zu viel gesehen. Die Milch der frommen Denkart versiegt, wenn du dich um so viele Crack-Babys gekümmert hast wie ich.«
»Sie hat vielleicht ihre Schwangerschaft verborgen, aber sie hat mir gesagt, dass sie Milch getrunken und Vitaminpillen geschluckt hat.«
»Solche Eine-pro-Tag-Dinger, die du überall kaufen kannst - mit Eisen, wenn’s hoch kommt - und keine Schwangerschaftsvorsorge. Grandios.« Aber als er sich wieder dem Baby zuwandte, lächelte er. »Irgendwas muss sie aber doch richtig gemacht haben. Die Kleine schaut gut aus. Sogar das Gewicht war halbwegs O. K.«
Ich beugte mich hinunter, so dass ich auf Augenhöhe mit dem Baby war. »Schon irgendwie hässlich, nicht?«
Leo gebot mir zu schweigen.
»Du meinst doch nicht, dass sie zwischen schmeichelhaften und unschmeichelhaften Adjektiven unterscheiden kann?«
»Ich lasse es nie darauf ankommen«, erwiderte Leo, wandte sich wieder dem Baby zu und säuselte: »Stimmt’s, süße Maus? Alle meine Babys sind schön. Auch wenn sie hässlich sind wie die Nacht.«
Jetzt probierte ich es mit meinen eigenen Schmeicheleien. »Hallo, kleines Mädchen. Pfleger Leo hat nicht ›hässlich wie die Nacht‹ gesagt. Was Pfleger Leo eigentlich gesagt hat, war ›Sieht aus, als wenn sie lacht‹.«
»Aber nicht, wenn sie an ihre Mutter denkt, und was die mit ihr
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