Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift
vorhat.«
»Das weißt du?«
»Ich weiß alles«, sagte Leo. »Und das wirkt sich auf alles Mögliche aus. Zum Beispiel geht keiner von uns zu ihr und erzählt ihr was von wegen Stillen ist das Beste, was du für dein Baby tun kannst. Außerdem war ich auch bei der Geburt dabei, auf jeden Fall kurz danach. Sagen wir einfach, eine erste Bewertung des mütterlichen Potenzials von Amber Quinlan veranlasst mich zu sagen: ›Fort mit Schaden.‹«
»Andererseits hat sie mich aber gebeten, nach dem Baby zu sehen und ihr Bericht zu erstatten.«
»Reizend.«
»Kann ich ihr also sagen, dass alles in Ordnung ist? Sie war nämlich beunruhigt wegen der Schwellungen im Gesicht.«
»Die Kleine war ein bisschen mitgenommen von der Geburt, aber das ist normal. In ein, zwei Wochen sieht sie zum Fressen aus.«
Er ging zu einem Inkubator, an dem eine Kinderzeichnung hing. Wahrscheinlich stammte sie von einem älteren Geschwister. Daneben hing ein sehr fantasievoll mit Plakatfarbe gemaltes Schild, das verkündete: Ich heiße Tyler Andrew.
Ich blieb bei Ambers Baby, das fest eingemummelt und seitlich gelagert war. Das Gesicht war rot, unter einem der geschlossenen Augen blühte ein Veilchen. Normalerweise stelle ich mich den Patienten vor, aber der Kleinen flüsterte ich zu: »Ich bin sicher, dein Leben wird ganz toll, und deine Adoptiveltern werden dir Musikstunden bezahlen und eine Zahnspange, wenn du eine brauchst, und dich sogar auf die Uni schicken. O. K.?« Ich blickte über die Schulter, um sicher zu sein, dass Leo nicht in Hörweite war. »Und auf ihre Art hat dich deine leibliche Mutter wirklich geliebt, denn keine Sechzehnjährige schluckt freiwillig Vitaminpillen und trinkt Milch, wenn sie nicht einen ausgeprägten Zug von Selbstlosigkeit hat.« Ich strich über die abgenutzte Flanelldecke, in die sie fest eingewickelt war, dann ging ich hinüber zu Leo. Der wiegte den kleinen Tyler, der noch immer mit Schläuchen an zahlreiche Monitore angeschlossen war.
Ich fragte, ob das zum Protokoll gehöre - die Babys in einem Schaukelstuhl sitzend hin und her zu wiegen.
Leo lächelte. »Selbstverständlich, Dr. Thrift. Ich glaube, man kann das durchaus als zum Protokoll gehörig bezeichnen - und als Besänftigung eines unruhigen Babys. Nicht zu vergessen, als Trost für den Dienst habenden Pfleger, besonders, wenn er müde ist, und seine anderen Kunden schlafen.«
»Das gefällt mir«, sagte ich. »Ich meine, wann hab ich schon mal Gelegenheit, mich in einen Schaukelstuhl fallen zu lassen, wenn ich Stress habe? Vielleicht sollte ich auch in die Neonatologie gehen?«
»Das ist der Hit. Natürlich sehe ich jede Menge schreckliche Sachen, aber jetzt können sogar schon Babys mit grad mal achthundert Gramm in einem Babysitz und Klamotten heimfahren, die wirklich für Babys gemacht wurden und nicht für Puppen. Sogar wenn ich auf der Pädiatrie Dienst habe, schlüpfe ich immer wieder zu meinen Babys rein.«
Seine Babys . Wie hätte ich da nicht mit seinem leiblichen, noch in utero befindlichen anfangen sollen? »Du freust dich sicher schon, mit deinem eigenen Sohn oder deiner Tochter im Schaukelstuhl zu sitzen.«
Leo sah auf Tyler hinunter und sagte dann: »Sicher.«
»Und bestimmt liebt auch Meredith Kinder, sonst wäre sie nicht Hebamme geworden.«
»Meredith -«, Leo unterbrach sich. »Na ja, es kann auf jeden Fall keiner sagen, dass sie nicht in einer Welt lebt, die sich ums Kinderkriegen dreht.« Er wandte sich wieder Tyler zu und sagte: »O. K., Kumpel. Wie wär’s jetzt mit einem köstlichen kleinen Imbiss?« Zu mir sagte er: »Er hat gerade erst mit Muttermilch angefangen. Du hast die Show heute Mittag verpasst.«
Er ging zum Kühlschrank, und ich folgte ihm. Dabei erzählte er mir, dass es eine ungewöhnlich ruhige Nacht für die Intensivstation sei, tagsüber gehe es zu wie in einem Taubenschlag. Manche Eltern seien den ganzen Tag hier, und das werde auch gern gesehen. Es sei gut für die Mütter und gut für die Babys.
»Soll ich Amber jetzt davon überzeugen, ihres zu behalten?«
»Nein! Wie alt ist sie? Fünfzehn?«
»Sechzehn.«
»Was sollte daran besser sein, dass eine sechzehnjährige allein erziehende Mutter ihr ungewolltes Kind aufzieht, als ein mehr als williges Paar, das dieses Kind auf Händen tragen wird?«
»Es gibt keinen richtigen Grund. Ich mache mir nur Gedanken über Amber. Sie hat sich das genau überlegt, eine offene Adoption und das Kind, wenn es größer ist, in den Sommerferien bei
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