Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift
Arzt?«
»Genau.«
»Einer von den Oberärzten?«
»Warum fragst du?«
»Weil du gesagt hast, das Ganze ist nicht koscher. Ich meine, wenn es einer von deinen Vorgesetzten wäre -«
»Er ist verheiratet.«
»Auf diesem Gebiet habe ich nicht die geringste Erfahrung, aber nach allem, was ich gehört habe, zeitigen Affären mit verheirateten Männern ungünstige Ergebnisse.«
»Als ob ich das nicht wüsste«, sagte Sylvie. Ihre Ellbogen gingen heftig auf und nieder, und ich hatte Schwierigkeiten, mit ihr Schritt zu halten. Plötzlich blieb sie stehen und sagte ein wenig wehmütig: »Na gut, hier hast du’s - noch ein pikant-dümmliches Kapitel meiner Autobiographie. Es fing mit einem sehr zärtlichen Kuss an. Kannst du dich an so was noch erinnern? Aus Jugendtagen?«
Klar, sagte ich.
»Und unerwartet. Das kann sehr schön sein. Also stell dir Folgendes vor: Es ist spät am Abend. Du bist in der Filmbibliothek, und plötzlich befördert dich ein attraktiver Mann in einen leeren Fluoroskopieraum.«
»Filmbibliothek« rief ein schauriges Echo in mir hervor, das ich nicht benennen konnte. Mein martinisiertes Gehirn und meine Restmüdigkeit waren keine große Hilfe bei der Lokalisierung des Ursprungsgeräuschs. »Von dir hätte ich am allerwenigsten erwartet, dass dir die Knie weich werden, weil dich einer küsst.«
Sie schüttelte den Kopf, pumpte mit den Ellbogen, wurde nicht langsamer. »Dann habe ich die Situation falsch dargestellt. Besagter Kuss erfolgte erst nach monatelanger Verfolgung durch, wie ich es nennen möchte, verstohlene und vielsagende Blicke.«
Ich hatte Gerüchte über Affären gehört. Wenn ich vom Nähen oder Klammern aufsah, hatte ich bisweilen sogar selbst schon vielsagende Blicke zwischen einem Chirurgen und einer Jungärztin, einem Anästhesisten und einer OP-Schwester aufgefangen. Aber das hier war Information aus erster Hand. Eine Hauptdarstellerin, die sich mir anvertraute. Ich fragte, ob es eine Fortsetzung gegeben habe.
»Nicht viel. Er hat viel zu tun, er ist verheiratet, er hat immer eine Schar Assistenten oder Schwestern um sich herum.«
»Kann er dich nicht anpiepsen?«
Sylvie lachte. Wir marschierten ein ganzes Stück weiter. Sylvie mit der Miene einer Frau mit einem verlockenden Geheimnis und ich offensichtlich ein einziges Fragezeichen. »Versuch erst gar nicht zu raten«, sagte sie, »denn selbst wenn du den Nagel auf den Kopf triffst, werde ich keine Namen nennen.«
»Wann war das mit dem Kuss?«
»Am dreißigsten Dezember. Und dass du nicht glaubst, das ist Gefühlsduselei zum Jahrestag des ersten Kusses. Ich weiß es deshalb noch, weil das Gespräch damit anfing, dass er mich fragte, ob ich an Silvester schon etwas vorhätte -«
»Einfach so?«
Sylvie lächelte, als wolle sie sagen, Arme Alice, sie ist ja so naiv, wenn’s um spontane und ehebrecherische Bezeugungen von Zuneigung geht.
»Wollte er sich mit dir treffen?«
»Nein. Er plauderte. Ich sagte, ich hätte nichts vor, und darauf er, irgendwie sehnsüchtig und ehegeplagt: ›Sie Glückliche. ‹«
»Und dann hat er dich geküsst?«
»Unter anderem«, sagte Sylvie und grinste.
»Im Fluoroskopieraum?«
»Herzchen: Mein Bett ist, wie wir alle wissen, durch eben diesen Verbindungsgang nicht weiter als einhundertundzwanzig Schritte entfernt von der Klinik.«
»Und ihr hattet keine Angst, dass jemand sieht, wie er zu dir in die Wohnung kommt?«
»Ich bitte dich. Du kennst doch unseren Flur. Da musst du schon mehrere Tage tot sein, bevor jemand dein Kommen und Gehen bemerkt.«
Und dann fiel mir ein, wo ich »Filmbibliothek« schon einmal im Zusammenhang mit Sex gehört hatte, und warum das Wort so einen Übelkeit erregenden Nachklang hatte: eine Putzfrau als Erste, Sylvie als Zweite oder - wohl eher - Fünfzehnte oder Fünfzigste.
»Was ist los?«
»Nichts. Nur etwas, das Leo mir einmal gesagt hat.«
»Nämlich?«
Ich musste mich entscheiden: Sollte ich Alarm schlagen und riskieren, dass Sylvie dabei was abbekam, oder einen Mann decken, der das Ansehen der Röntgenabteilung besudelte? Unter großen Mühen brachte ich hervor: »Über einen Akt von Fellatio in der Filmbibliothek, dessen Zeuge er wurde.«
Sylvie lachte. »Also wir waren das bestimmt nicht. Wir haben uns in die Fluoroskopie verzogen.«
Ich wollte fragen, heißt dieser besondere Freund von dir Hastings? Aber was sollte ich tun, wenn die Antwort ja wäre? Fühlte ich mich der Aufgabe gewachsen, eine düstere Prognose für diese Romanze
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