Der dreizehnte Apostel
falsch und fehlgeleitet waren alle meine Versuche, mit Rudy in Verbindung zu treten, wie sehr habe ich es jedesmal verpfuscht. Glaub mir, Rudy, es war nicht so, daß ich furchtbar viel gegen dein Schwulsein, deine liberale politische Haltung, deine Hippiephase, deinen dreimaligen Fachwechsel oder dein Parteiergreifen für deine Mutter gehabt hätte, nichts an dir habe ich verabscheut … Es ist nur einfach meine Art, streitlustig und polternd zu sein. Warum war gerade ich mit dem Typ von Sohn gestraft, der darüber beleidigt war, der mich deswegen hasste ?
(Warum hast du Stephen nicht aufgesucht?)
Stephen. Der Typ, mit dem Rudy in seinem zweiten Studienjahr zusammenlebte, in diesem verlotterten Hippiehaus, das ich missbilligt habe. Der blasse Typ mit dem schwarzen Bart, vielleicht ein Jude. Ein Jude namens Stephen? Ja, ich vermute, das kommt vor. Ein wirklich intellektueller Typ, der einem auf seine kriegerische, selbstzufriedene Art Marx-Zitate wie aus der Pistole geschossen an den Kopf werfen konnte. Ich vermute, sie haben es zusammen gemacht. Mir wird schlecht, wenn ich denke, wie mein Sohn seinen … he, warum diese Gedanken weiterverfolgen? Vielleicht waren sie glücklich.
Einmal musste ich zu einer Konferenz nach Princeton, und da Rudy kein Telefon hatte, konnte ich ihn nicht vorwarnen, daß ich bei ihm vorbeischauen würde. Vielleicht hätte ich ihn aber sowieso nicht vorgewarnt. Er und Stephen teilten sich ein Zimmer im oberen Stock eine s fast abbruchreifen edwardiani schen Hauses außerhalb des Campus, das sie zusammen mit vielleicht zwanzig anderen langhaarigen, bärtigen, unrasierten, psychedelischen Möchtegern-Revolutionären im Afro-Look bewohnten. Aber Rudy nahm mich mit hinauf in sein Zimmer, und ich erinnere mich an die Bücherstapel – das war gut, er las, er las eine Menge. Ich hätte ihm damals sagen sollen, wie stolz ich darauf war, daß er ein Leser war, einer, der nachdachte. Selbst wenn es solcher Unfug war wie Politologie. Auf jeden Fall kam dann Stephen hereingetänzelt und sagte ziemlich streitsüchtig, das sei auch sein Zimmer. Bin ich vielleicht blöd? Eine Doppelmatratze mit indisch bedruckten Decken in der Zimmermitte. Überraschung, Überraschung. Rudy ging nervös nach unten und …
(Erinnerst du dich, was er gesagt hat?)
»Es ist mir egal, wenn du mich hasst , Dad. Du kannst nichts daran ändern, ich bin homosexuell, das ist alles. Aber sag Mom nichts davon, okay?«
Mein Sohn sagte, es sei ihm egal, wenn ich ihn hasste ! Ich war in seinen Augen so ein hoffnungsloser Fall, daß er mich einfach abschreiben konnte, es
machte nichts aus!
(Aber was hast du getan?)
Ich habe meiner Frau ergötzlich, blumig, jedes barocke Detail mit Behagen und Genuss schildernd, die Wahrheit gesagt und ihr alles unter die fromme, verkniffene Altfrauennase gerieben. Nimm dies! Bist du jetzt zufrieden? Soviel zum Thema Enkelkinder, Beatrice O’Hanrahan!
(Und was ist passiert?)
Oh, das Übliche. Ein Gespräch mit dem Pater – diesem faden polnischen Priester mit dem fliehenden Kinn und einem Gesicht von der Farbe einer Hefe teigtasche . Großes Wehklagen, viele Gebete zu Maria. Und Schuldzuweisungen. Ich gab Beatrice die Schuld, sie gab mir die Schuld. Und Rudy rief an, um mich am Telefon zu verwünschen, was ich verdiente, und vermutlich habe ich irgendetwas Rückständiges und Spießiges geantwortet …
(Als Schwuchtel sei er nicht mehr dein Sohn.)
Wie reizend, daß ich alles so klar und deutlich wieder vor mir sehe. Mein Herz ist Asche. Und trotzdem muss ich darüber nachdenken, darin stochern wie in einer Wunde: Ich kann nicht sehen, daß mein Junge … Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie er
diesen Jungen mit dem widerspenstigen Bart küsst …
(Stephen war bei der Beerdigung.)
Ja, er weinte sich die Augen aus. Ich hätte …
(Was?)
Ich hätte hingehen und ihn trösten sollen, aber …
(Statt dessen hast du ihn angefunkelt, als sei es un
anständig von ihm, hier aufzutauchen.)
Aber ich bin nicht so, verdammt! Ich bin nicht so ein schlechter Mensch! Ich kann lustig sein, ich kann
gütig sein, ich kann warmherzig sein und die Leute mit meiner riesigen Geschichtensammlung in ihrem Kummer trösten und ihnen Weisheit vermitteln!
(Außer wenn du mit Menschen zu tun hattest, die du liebtest.)
Ich frage mich, ob …
(Du fragst dich, ob du eines Tages vielleicht noch mit Stephen sprechen wirst?)
Ja, seit Rudys Unfall sind fast zwanzig Jahre vergangen, und Stephen muss wohl
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