Der dreizehnte Apostel
wahr? Aber wir können hier kein elektrisches Licht einbauen, eh?« Pater Vico hatte ein Büro im entlegensten Bereich der franziskanischen Gewölbe bekommen, fast schon in der Moschee, die nebenan lag. Der Raum war stickig und ohne Fenster, ausgestattet war er mit schäbigen Möbeln aus dem
19. Jahrhundert, wie man sie oft in armen Pfarreien sieht. »Ich habe eine Überraschung für Sie, professore«, teilte Pater Vico mit. »O Gott.«
Pater Vico öffnete den großen Kleiderschrank, nahm einen langen Mantel von einem Bügel und griff in eine Geheimtasche im Futter. Er zog einen langen Schriftrollenbehälter heraus, der irgendwie vertraut aussah. »Sie scherzen«, sagte O’Hanrahan, als er ihn erkannte.
»Wir haben unseren alten Freund aus dem Trecento wieder.« Pater Vico hatte es tatsächlich fertiggebracht, das äthiopische Pergament, die römische Fälschung aus dem 14. Jahrhundert, die O’Hanrahan in der Vatikanbibliothek eingesteckt und die man ihm dann als das vermeintliche Matthäusevangelium gestohlen hatte, wieder aufzutreiben. »Die Verbrecher haben es pflichtgetreu an die Kirche zurückgegeben, so wie ich dachte. Ein Freund der Franziskaner hat sie zu uns gebracht. Die Rolle ist nicht ganz wertlos, mein Freund.«
»Ich bin sicher, daß sie Tausende wert ist, Pater.«
»Im Vatikan hat niemand sie vermisst , daher denke ich, es wird keinen Ärger geben, wenn Sie sie wieder bekommen. Wir habe n in unserer Sprache ein Wort, zimbello …«
»Ein Köder, Pater.«
»Köder, was für ein komisch klingendes Wort.«
Der Pater trat wieder an seinen Schreibtisch. »Ach, aber das ist noch nicht alles.«
O’Hanrahan wartete geduldig. »Ich habe einen Traum gehabt.«
O’Hanrahan nickte und hoffte, Pater Vico werde fortfahren. »Ich habe von Ihnen geträumt!« Offenbar zufrieden lehnte sich Pater Vico in seinem Stuhl zurück und legte die Hände zusammen.
O’Hanrahan blickte zur Decke. »War es ein angenehmer Traum?«
»Oh, ich erzähle Ihnen den Traum und schlage Ihnen eine Deutung vor, ja? Ich habe geträumt, Sie waren in der Wüste, sind gelaufen und gelaufen und gelaufen und noch weiter gelaufen und gelaufen …« Der Professor rieb sich die Nase.
»Irgendwohin? An einen bestimmten Ort?«
»Nein. Und dann näherte sich Ihnen ein Mann, dessen Gesicht ich nicht sehen konnte, ein Mann in einem langen Gewand, wie ein Araber, aber es war kein Araber – ein sehr seltsames Gewand, aber sehr schön. Und auch der Mann war schön, sehr gut aussehend.«
»Ich dachte, Sie konnten sein Gesicht nicht sehen.«
»Nein, aber er besaß Schönheit, ich wusste es, ohne in sein Gesicht zu sehen. Er hielt Ihnen ein Stück Brot
und ein Gefäß mit Wasser entgegen.«
»Habe ich es genommen?«
Pater Vicos Hände bewegten sich wie flatternde Vögel. »Ich bin aufgewacht und kann es Ihnen daher nicht sagen. Es ist bezeichnend, nicht?«
Nein, dachte O’Hanrahan und sagte: »Ich glaube eigentlich nicht an Träume.«
»Habe ich erwähnt, daß der Mann hinten einen Schwanz hatte?«
O’Hanrahan sah auf die Tür, die aus dem Zimmer führte, und wünschte sich, er könnte hinausgehen. »Sie haben den Schwanz gesehen?«
»Nein, aber ich wusste , daß er da war. Man hat solche Erlebnisse in der Traumwelt, nicht wahr? Man weiß, ohne daß man sieht. Natürlich war es vermutlich der Teufel. Und Sie werden in Versuchung geführt werden. Sind Sie ein Mann, den man versuchen kann, professorei’«
»Jeder kann in Versuchung geführt werden, Pater.«
»Aber Sie sind nicht … nicht … venale, meschino …«
»Ob ich käuflich bin? Ich glaube eher nicht, Pater.« Pater Vico lächelte milde. »Nein, das glaube ich auch nicht. Es wäre mir sehr zuwider, wenn dieses Evangelium in die falschen Hände fiele; und so jemand könnte ja versuchen, Sie zu kaufen, nicht?«
»Haben Sie das Evangelium bei sich, Pater?«
»Antonio!«
O’Hanrahan traute seinen Augen kaum: Tatsächlich war der kleine Safe auf Rädern bis nach Jerusalem gekommen. Quietsch quietsch quietsch. Antonio rollte ihn aus einem verschließbaren Schrank im Vorzimmer in Pater Vicos Büro.
»Hier«, sagte der Pater, »ich werde den Safe öffnen und Ihnen zeigen, daß Matthias tatsächlich bei uns in der Heiligen Stadt ist. Aber Sie müssen sich umdrehen – ja, auch du, Antonio. Es ist eine sehr einfache Kombination, und jeder könnte sofort erkennen …
Ach, was ist jetzt los? Haha, Sie haben Angst, daß ich sie vergessen habe, wie? Natürlich weiß ich sie …«
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