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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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hole?« fragte Lucy. »Ich will, daß Sie mir einen Drink besorgen«, stöhnte er.
    »Laut meinem Reiseführer ist das strikt verboten«, erklärte sie gebieterisch. »Sehen Sie, Alkohol entzieht dem Körper die kostbaren, ohnehin schon angegriffenen Wasservorräte …«
    »Verdammter Mistkerl.«
    »Seien Sie nicht zu hart mit sich, Sir …«
    »Ich habe nicht mich, sondern den Wirt gemeint. Diese komischen Bohnen mit den unidentifizierbaren Fleischstücken, die ich gestern Abend gegessen habe. Warum liegen Sie nicht im Sterben?«
    »Keine Ahnung. Ich hatte in Europa die ganze Zeit Durchfall. Jetzt, wo ich hier bin, geht es mir gut.«
    »Das ist dieses ganze Kleie-und Joghurtzeug, das Sie essen. Ihr Körper würde richtiges Essen gar nicht erkennen. Lucy, bitte, gehen Sie in eine Apotheke und sagen Sie das Wort ishail.«
    Lucy übte das Wort für Durchfall zwei-oder dreimal, bis der Professor nickte. »Es ist doch nicht die Ruhr, Sir?« flüsterte sie. »Ist Blut in Ihrem … in Ihrem Stuhl?«
    »Mein Stuhl geht Sie gar nichts an! Und bringen Sie mir eine Herald Tribune mit!«
    Lucy warf ihm einen letzten besorgten Blick zu. Sie bemerkte, daß das Matthäusevangelium neben ihm auf dem Bett lag. Er passte auf, daß es immer in seiner Nähe war.
    Es war das dritte-oder viertemal, daß Lucy sich in einem muslimischen Land ohne Begleitung auf die Straße wagte – vielleicht war der Sudan besser als Kairo oder Assuan. Sie trat aus dem Hotel hinaus in die Sonne und ging die zwei Straßen zu der Apotheke, die der Hotelbesitzer ihr genannt hatte. Feiner Staub, den Militärfahrzeuge auf den schlechten Straßen der Stadt aufwirbelten, hing in der Luft, und Lucy atmete ihn ein, spürte seinen kreidigen Aschege schmack .
    Zwei arabische Teenager in westlichen Jeans, die ständig lachten, folgten ihr und machten schmatzende Kußgeräusche.
    »Wie geht’s?« schrien sie. »Wie heißt du?« Hier am Nil schien das der offizielle Beginn einer Unterhaltung zu sein.
    Lucy fand einen Kiosk und kaufte eine Zeitung, dann entdeckte sie an der Straßenecke die versprochene Apotheke und trat ein. Seifen, Rasierklingen, Trinkwasser, Windeln – eine Reihe von Waren lagen aufgestapelt an der Wand. Keine der verschleierten Frauen sprach ein Wort Englisch. »Ishail«, versuchte es Lucy mit allen möglichen Betonungen. Die Frauen holten einen adretten Araber in weißer Jacke, der einen gestutzten Bart und große, wissende braune Augen hatte. Schöne Menschen, musste Lucy zugeben.
    »Kann ich helfen?« fragte er. Er hatte in den Vereinigten Staaten studiert, und tatsächlich versorgte er sie mit dem stärksten Mittel gegen Durchfall und zwei Flaschen Trinkwasser. Umgerechnet kostete das 50 Cents, stellte Lucy fest. Eine der verschleierten Frauen in dem Geschäft ließ Lucy durch den Mann fragen, ob sie eine Bleibe zum Übernachten brauche. Lucy bedankte sich und bedauerte, daß sie das Angebot nicht annehmen konnte. Was für Geflüster hinter dem Schleier, was für Geheimnisse hinter dem mashrabiyya in den Frauengemächern würden ihr enthüllt werden?
    Die verschleierten Frauen zogen sich zurück, und Lucy trat zurück auf die Straße. Wir im Westen hassen das Unbekannte, Unpräzise, dachte Lucy, alles, das uns Fakten vorenthält – aber die islamische Welt kultiviert das Mysteriöse, verhängt sich mit Schleiern, flüstert Geheimnisse, die so verboten sind, daß man nicht darüber reden darf …
    »Brauchen Sie einen Führer?« fragte ein schmutziger Junge mit breitem Lächeln.
    »Nein, danke.«
    »Einen Schlafplatz?«
    Ein zweiter tauchte neben ihr auf. »Du Amerikanerin?«
    Die Jungen von vorhin kamen um die Ecke und sprachen sie entzückt wieder an: »Wie heißt du?«
    Als sie endlich wieder bei O’Hanrahan war und ihm mit einem kalten Handtuch die Stirn abtupfte, sagte sie halb lachend: »Eine Frau allein auf der Straße ist öffentliches Eigentum. Ich weiß nicht, was schlimmer ist – die Fliegen oder die Jungen.«
    O’Hanrahan sah auf ihre Hand und erwiderte: »Sie haben keinen Ehering gesehen, daher waren Sie Freiwild für sie.«
    Lucy hatte vergessen, den billigen Ring zu tragen, den sie zu diesem Zweck in Kairo gekauft hatten. Sie hatte gehofft, daß ihr konservativer Aufzug – langer Rock, lange Ärmel, Haar zurückgekämmt und ein Kopftuch darüber gebunden , was sie, als sehr wenig schmeichelhaft für ihr Gesicht, verfluchte – den Anforderungen der örtlichen Sittsamkeit genügen werde.
    Sie warf O’Hanrahan die gestrige

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