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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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O’Hanrahans Stimme dämpfte sich zu einem Säuseln, dennoch verriet sie den Ausbruch, der folgen würde, wenn sie nicht bald ginge. »Ersparen Sie mir die Invokata der Eleusinischen Mysterien, mit denen Sie an dieses Geld herankommen. Es ist mir egal. Verkaufen Sie Ihren jungen keuschen Körper auf der Straße. Kommen Sie wieder, bevor die Pubs aufmachen, und Sie finden mich wahrscheinlich zu Hause – kann ich jetzt wieder an meine Arbeit gehen?«
    »Ich geh’ ja schon …« Lucy drehte sich um, und während sie die Treppe hinunterrannte, hörte sie, wie die Tür erneut zugeschlagen wurde. So ekelhaft er auch zu ihr war, irgendwie mochte sie ihn trotzdem.
    (Weil du ein gutes Herz hast, Lucille.)
    400 Dollar von Cecilias Kreditkarte zu bekommen erforderte einen Pass , einen zweiten Ausweis und eine ungewohnte, unamerikanische halbe Stunde Warten am Schalter der Barclays Bank, obwohl nur vier Personen vor ihr in der S chlange standen. Aber schließ lich bekam sie das Geld. Die nächste Stunde verbrachte Lucy damit, Souvenirs einzukaufen: Marmelade aus Oxford für Mom, für Dad würde sie eine Flasche zollfreien irischen Whisky besorgen, und sie sollte besser auch für Cecilia etwas aussuchen, da sie ihre Kreditkarte plünderte … Das bedeutete, sie brauchte auch etwas für Mary und für ihre Brüder Nick und Kevin. Und Ansichtskarten, Ansichtskarten an alle. Seht ihr? Ich habe auch ein aufregendes Leben, das besagte eine Postkarte aus Europa.
    Liebe Judy,
    stell Dir vor, zwei Tage in England, und schon ist da dieser Typ, Duncan. Aus dem Norden, ganz süß – das würdest sogar Du denken! Und dieser Akzent!
    Lucy las durch, wie sie angefangen hatte, und legte den Stift aus der Hand, unsicher, ob sie die Karte abschicken sollte. Vielleicht würde sich ja noch eine richtige Liebesaffäre ergeben, so daß sie etwas Greifbareres schildern könnte.
    (Du meinst: etwas, das mehr der Wahrheit entspricht.)
    Lucy las die geschönte Episode mit Duncan noch einmal und zerriss die Karte. Erst lügt man ein kleines
    bisschen , dann muss man eine ganze Reihe von Lügen erzählen, wenn man gefragt wird, und ehe man sich versieht, hat man sich ein ganzes falsches Leben aufgebaut … Sie würde Judy ein anderes Abenteuer unter die Nase reiben.
    (Was soll diese Besessenheit, die arme Judy auszustechen?)
    Auf einer Seite in ihrem Adressbuch hatte Lucy eine Liste von potentiellen Kartenempfängern notiert. Ledige Tanten, Paten und haufenweise alte Leute, die nie verreisten und nicht glaubten, daß jemand anderswo lebte als in Bridgeport, Chicago, 11. Bezirk, Mayor Daley Land, das Paradies auf dieser irischamerikanischen Erde. Ihre Mutter hatte Lucy den Auftrag gegeben, einem halben Dutzend alter Klatschtanten aus dem Gebetskreis eine Karte aus dem Ausland zu schicken.
    »Die alte Miss McGill ist nie irgendwo anders gewesen«, hielt Mutter ihr vor, »und denk doch, wie sehr sie eine Karte aus Übersee schätzen würde! Sie hat für dich gebetet und dein Heranwachsen verfolgt, seit du ein winziges Ding warst, und als man dir die Mandeln herausgenommen hat, hat sie für dich gebetet, und zur Firmu ng hat sie dir zwei Dollar ge schickt, obwohl sie es weiß Gott nicht dick hatte …« Diese ganzen lästigen alten Weiber, dachte Lucy. (Lucy!)
    Einsame lästige alte Weiber, verbesserte sich Lucy. Alte Frauen, die nichts und niemanden haben. Na schön, ich könnte allen dasselbe schreiben und hoffen, daß sie den Text nicht vergleichen … aber natürlich werden sie das tun. Kaum haben sie die Karte, werden sie schon ans Telefon stürzen, um einander unter die Nase zu reiben, wie wichtig jede sei, daß sie von Mrs. Dantans kleinem Mädchen Post aus Europa bekam.
    (Hört sich genauso kleinlich an wie du und Judy.)
    Es war vier Uhr, und seit sie mittags mit dem Rabbi Tee getrunken hatte, waren noch dunklere Sturm wolken aufgezogen. Bevor sie sich wieder daranmachte, in der Bibliothek Detektiv zu spielen, entschied sie, daß sie einen Experten vor Ort brauchte. Vielleicht die freundliche junge Frau mit den roten Strümpfen, die auch im Braithwaite wohnte: Ursula. Lucy ging zurück ins College, um sich ihre neue Bekannte zunutze zu machen, die im Hauptfach Englisch studierte. »Reading English«, wie die Briten sagen, obwohl Ursula versicherte, ihr Englischstudium in Oxford erfordere im Grunde sehr wenig Lesen.
    »Was für eine Erleichterung«, sagte Ursula fröhlich und räumte einen Stuhl für Lucy frei. »Ich habe darum gebetet, daß jemand

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