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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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kleines Hosianna?)
    Mit einem neuen Gefühl von Staunen und Verehrung vor dieser Epistel aus dem 1. Jahrhundert blätterte O’Hanrahan mit zitternder Hand auf eine neue Seite in seinem Notizblock. Matthias, dachte er mit einer Träne im Auge, alter Kamerad: Was hast du mir zu sagen, mein Freund?
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    In der Mitte des Campus stand ein Gebäude aus den Zeiten der Plantagen vor dem Sezessionskrieg, drei Stockwerke hoch mit einem griechischen Säulengang und einer hohen Eingangstreppe. Die gepflasterte Auffahrt, wie geschaffen für eine Prozession von Limousinen, führte den sanften Hügel zu dem Herrenhaus hinauf, als wäre es das Weiße Haus.
    »Unser Zuhause«, sagte Farley.
    Die tolerante Haltung, die Lucy, zu ihrer eigenen Überraschung, dem TPL-Imperium gegenüber eingenommen hatte, verflüchtigte sich nun wieder. Dieses Haus kostet eine Million, dachte Lucy, als sie aus dem Kombi stieg. »Ein Palast.«
    »Na ja, wir haben wichtige Besucher, deswegen muss es eben etwas hermachen«, erklärte Farley, der sich in dieser christlichen Gemeinde nicht die Mühe machte, das Auto abzuschließen. »Präsident Reagan bei seiner Kandidatu r 1980. Das war wirklich aufre gend! Ich habe ihm die Hand geschüttelt und so. Er ist hierhergekommen, um das Bullins-Entrückungs-Center mit einzuweihen. Was ist mit dir, Lucy – glaubst du, die Entrückung wird vor der Zeit der großen Drangsal sein oder danach?«
    »Ich glaube, daß diese ganze Entrückungsgeschich te ein Quatsch ist«, erwiderte Lucy. »Ihr macht dasselbe, was die Katholiken mit Maria angestellt haben: 1956 beschlossen sie, daß sie in den Himmel aufgefahren sei. Ihr habt euch auf ein paar symbolische Sätze in den Thessalonicherbriefen gestürzt und eine eigene Theologie um sie herum erfunden.«
    Farley schüttelte den Kopf. »Ich werde von den Wolken auf dich herabwinken.«
    »Dort oben ist der Himmel, Farley? Über unseren Köpfen? Wie weit hinaus in den Weltraum reicht er? Wo hört er auf, wenn du hoch, hoch, hoch und immer höher steigst? Beim Pluto? Oder wird Gott dich nach dem großen special effect einige Billionen Lichtjahre weit in den Himmel schleudern?«
    Lucy folgte Farl ey über den luxuriösen Marmorbo den der Eingangshalle, vorbei an schmeichelhaften Porträts von Reverend Bullins und seiner Gattin, die selig auf die hellgrün im Licht des Sonnenaufgangs leuchtenden Felder des Gelobten Landes starrten, bis zu einem Wendeltreppenaufgang aus der Zeit vor dem Sezessionskrieg.
    Lila Mae Bullins war, samt ihrem hochtoupierten, lavendelblau gefärbten Haar, einszweiundsechzig groß, und ihr Gesicht war dick geschminkt, offensichtlich dem ungeschriebenen Gesetz gehorchend, daß die Ehefrauen von Fernsehpredigern ihr Bestes tun müssen, um die vanitas der Welt zu verkörpern. Einerseits war sie also die Karikatur einer gelifteten, alterslosen Südstaatenschönheit, andererseits schien Lila Mae irgendwie zerbrechlich zu sein, ein Nervenbündel, bereit, bei jedem Anlass zu weinen, so wie etwa bei Bullins’ oft hysterischen Erweckungssen dungen im Fernsehen.
    Lucy blieb mit Lila Mae in der Küche, während Farley die Treppe hinaufrannte, um einen besonderen Leckerbissen auf Video zu holen, den er ihr versprochen hatte.
    »Wir haben viele Gebetspartner in Chicago«, sagte Mrs. Bullins, um ein gemeinsames Thema mit Lucy zu finden, während sie ihrem Gast ein Cola light aus einem der beiden großen Kühlschränke holte. »Wissen Sie«, fügte sie ve rtraulich hinzu, »auch viele Ka tholiken schließen sich jetzt der Pfingstgemeinde an.«
    Ja, davon hatte Lucy gehört. Es war ein Versuch, vor allem schwarze Katholiken davon abzuhalten, von der ruhigen, unveränderlichen Routine der Messe zu den aufregenderen und ethnisch gemischteren Glaubensgemeinschaften mancher protestantischen Afro-Amerikaner zu strömen. Lucy dachte an Reve rend Stallings in Washington, der aufgrund der afrikanischen Elemente in seinen Messen exkommuniziert worden war … Ach ja, da war auch noch dieser Bischof in Afrika, von dem sie gelesen hatte, Emma nuel Milingo, den man ebenfalls hinausgeworfen hatte, weil er erlaubt hatte, daß Tänze und volkstümliche Heilungen sich mit den Geboten von Johannes Paul
    II. vermischten. Aber wenn es um Polen und die Soli darnosz geht, dachte Lucy zynisch, panscht der Papst Kultur, Politik und Kirche ganz prima zusammen. Ein Wun der, daß die Hostie noch keine K olbasz ist …
    »Ein hübsches Haus, nicht wahr?« fragte Mrs. Bullins stolz. »Sie wohnen

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