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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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Oxford, trauerte er, wäre ich ein Erfolg gewesen! Nicht in der rechenschaftspflichtigen akademischen Welt von Amerika mit den obligatorischen Veröffentlichungen, dem Intrigieren um Ämter, dem Gezänk um Finanzen, dem Lackmustest der 90er Jahre auf political correctness und den zahllosen Studenten mit ihren nagenden persönlichen Misserfolgen , die als Doktorarbeiten verkleidet werden … Nein, in Oxford ist nichts wichtig als lustige Geselligkeit, guter Wein und gelegentlich so nebenbei eine Kolumne in der Times, um einmal alle zehn Jahre zu zeigen, daß man was von seinem Fach versteht. Und sicher nicht diese verdammten Studenten – hier schlagen sie sich selbst durch!
    (Warum musst du ständig über irgendein Leben nachdenken, das du hättest führen können, anstatt über das Leben, das du hast? Haben Wir es dir denn für nichts und wieder nichts gegeben?)
    Ich wäre ein Universitätslehrer in der Tradition der mittelalterlichen Magister gewesen, deren Zimmer fenster nie zur Welt außerhalb des Colleges blickten, weil es keine Welt außerhalb des Colleges mit seinen Weinkellern, seinem erstklassigen Essen und den Kollegen, würdig oder unwürdig, gab. Außerdem hätte Oxford mich auch gemocht, dachte O’Hanrahan. Hier hätte es nichts ausgemacht, daß ich kein Buch veröffentlicht habe. Lieber Mordechai Hersch, ein ganzes Regal gelehrter Bücher mit seinem Namen hat der. Aber nicht Patrick O’Hanrahan. Nein, er hinterließ ausgelassene Abende in Bars auf der ganzen Welt und das unrühmliche Schauspiel eines alten Iren, den Bauch voll Alkohol und den Kopf voller Geschichten. Ich habe keine Familie, die mein Leben fortsetzt, kein Regal voller Bücher, die ich hinterlassen könnte, keine dauerhafte Entdeckung. Ach, wäre ich so wie dieser Scheißkerl Pater Beaufoix, unsterblich durch seine Gelehrsamkeit und seine Veröffentlichungen – welche Krone hätte ich tragen können!
    (Reichtümer dauern nicht ewig; und haben Kronen über alle Generationen Bestand?)
    Nun kam der Zug. O’Hanrahan blickte noch einmal auf die Türme und hätte um eine zweite Chance gebetet, seine Gaben noch einmal nützen zu können, weiser diesmal, nutzbringender, wenn er geglaubt hätte, ein solches Gebet würde gehört, geschweige denn erhört. Oder wenn er geglaubt hätte, Gebete wirkten überhaupt und seien nicht die vergeblichste Verschwendung von Wörtern, die man sich vorstellen kann.
    (Du hast deinen Glauben verloren, Patrick.)
    »Ich habe meinen Glauben verloren«, sagte er laut in die regennasse Nacht.
    EINS
     
    1. Ich hatte meinen Glauben verloren, Josephus.1
    2.
    Er verließ mich, wie die Blume vom welkenden Stängel fällt, wie die Flut abebbt und den Schlamm unter dem Meer offenbart, er verschwand wie der Mond hinter einer großen Wolke, ging unter wie Helios Nachtens im Bett des Eridanus.2 Also war es mit mir! Ich erwachte und fand ungewiss , was einst gewiss war. Und so begannen meine Reisen, mein Bruder, und diese großartige Geschichte, die du lesen wirst – welche sicherlich, wage ich zu behaupten, unter meine bedeutendsten Werke wird gerechnet werden!
     
    3.
    Es ist das sechste Jahr [76 n. Chr.] dieses Ungeheuers Flavius Caesar,3 dessen Habgier grenzenlos ist und dessen Grausamkeit legendär. Doch bringe ich Nachricht deinen tauben Ohren, denn du, mein Bruder, hast diesen Unhold in allem, außer vielleicht im Bett, bedient. Ja, und ich versichere dir, die Juden sagen noch Schlimmeres über dich. So zum Beispiel: »Erst stand da Aliturius auf der Bühne und nun auch du: Josephus, der den Römer spielt, Verräter seines Volkes!«
     
    4
    Und bedenke, Aliturius lieferte dem Caesar nur sein Zeugungsglied aus, während du ihm deine Seele hingegeben hast und dazu unseres geliebten Vaters Namen, da du nun ja zu einem »Flavius« Josephus erhöht worden bist.
    Überdies ist es keine kleine Unverschämtheit, daß du als Historiker dilettierst und mir, deinem älteren Bruder, Konkurrenz machst, dessen Ruhm du durch deine Liebesbriefe an römische Generäle nicht so leicht in den Schatten stellen können wirst, wie du dir vielleicht einbildest. Wirklich, Bruder, ich würde es glauben, erzählte mir jemand, du habest die Hilfe eines Chirurgen gesucht, damit er dir das Hauptkennzeichen des Bundes unseres Volks entferne.5
    4.
    Vielleicht wirst du dieses Schreiben ins Feuer werfen wie mein letztes, der Ton, den ich hier gegen dich anschlage, kann dir ja nicht gerade angenehm sein. Wirklich, Tesmegan, wir sollten, wenn du mir

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