Der dritte Schimpanse
hö-her als die wilder Beeren und Wurzeln. Stellen Sie sich einmal vor, wie solche Wilde, erschöpft von der Suche nach Nüssen und Beutetieren, plötzlich eine Obstplantage kurz vor der Ernte oder eine Weide voller Schafe erblickten. Welchen Bruchteil einer Sekunde würde es wohl dauern, bis sie begriffen, wo die Vorteile der Landwirtschaft liegen?
Die Vertreter der Fortschrittsperspektive gehen noch weiter und bezeichnen die Landwirtschaft als Voraussetzung für die Entstehung der Kunst, jener edelsten Blü-te des menschlichen Geistes. Da landwirtschaftliche Erzeugnisse gelagert werden können und es weniger Zeit kostet, sie selbst anzubauen, als im Dschungel nach ihnen zu suchen, bescherte uns die Landwirtschaft freie Zeit, die Jäger und Sammler nie besaßen. Freie Zeit ist jedoch eine Vorbedingung für die Schaffung und den Genuß von Kunstwerken. Letztlich war es deshalb die Landwirtschaft, die uns als größte Geschenke den Parthenon-Tempel und die h-Moll-Messe bescherte.
Unter den Hauptmerkmalen unserer Kultur ist die Landwirtschaft noch recht jungen Datums – sie tauchte erst vor 10 000 Jahren auf. Keiner unserer Verwandten unter den Primaten praktiziert etwas auch nur entfernt Vergleichbares. Vielmehr besteht die engste Parallele im Tierreich zu den Ameisen, die nicht nur die Domestikation von Pflanzen, sondern auch von Tieren erfanden.
Die Domestikation von Pflanzen ist das Merkmal etwa eines Dutzends verwandter Arten von Neuwelt-Ameisen. Diesen ist gemein, daß sie alle bestimmte Pilze (unter anderem Hefepilze) in Beeten im Innern ihrer Nester anbauen. Statt normale Erde dafür zu nehmen, bereitet jede Art einen speziellen Kompost : Manche verwenden Raupenkot, andere Insektenleichen oder abgestorbene Pflanzenteile und wieder andere (die sogenannten Blattschneiderameisen) frische Blätter, Stengel und Blumen. Dazu ein Beispiel : Die Blattschneiderameisen zerteilen abgeschnittene Blätter in Stücke, kratzen fremde Pilze und Bakterien ab und schaffen sie in ihre unterirdischen Nester. Dort werden die Blattfragmente zu feuchten, breiigen Kügelchen zerdrückt und mit Ameisenspeichel und -kot gedüngt. Danach säen die Ameisen darauf die bevorzugten Pilzarten aus, die ihnen als Haupt- oder ausschließliche Nahrung dienen. Ähnlich wie beim Unkrautjäten im Garten sind die Ameisen ständig damit beschäftigt, Sporen anderer Pilzarten zu entfernen, die auf dem Blattbrei wachsen. Fliegt eine Königin davon, um eine neue Kolonie zu gründen, trägt sie eine Anfangskultur des kostbaren Pilzes mit sich. Das erinnert an menschliche Pioniere, die Saat mit auf die Reise nehmen.
Was die Domestikation von Tieren betrifft , so beschaffen sich Ameisen »Honigtau«, ein konzentriertes, zuckerhaltiges Sekret von diversen Insekten, darunter Raupen, Blatt- und Schildläusen. Als Gegenleistung für den Honigtau schützen die Ameisen ihre »Milchkühe« vor natürlichen Feinden und Parasiten. Manche Blattläuse entwickelten sich quasi zum insektären Gegenstück unserer Haustiere : Sie verloren alle offensiven Körpermerkmale, scheiden aus dem Anus Honigtau aus und haben eine spezielle Anusanatomie, die den Ameisen das Trinken des Sekrets erleichtert. Zum Melken ihrer Kühe und zur Ingangsetzung des Honigtauflusses schlagen die Ameisen die Blattlaus mit den Fühlern. Einige Ameisen sind dafür eigens abgestellt, den Winter über im Nest für die Blattläuse zu sorgen; im Frühling tragen sie sie dann im richtigen Entwicklungsstadium aus dem Nest und plazieren sie im richtigen Teil der richtigen Nahrungspflanze. Wenn ihnen schließlich Flügel wachsen und sie sich auf die Suche nach einer neuen Heimat machen, haben einige das Glück, von Ameisen entdeckt und »adoptiert« zu werden.
Natürlich haben wir die Domestikation von Pflanzen und Tieren nicht direkt von den Ameisen übernommen, sondern neu erfunden. Eigentlich ist »Erfunden« aber nicht der richtige Ausdruck, da es sich bei unseren ersten Schritten in Richtung Landwirtschaft nicht um bewußte Experimente mit klarem Ziel handelte. Vielmehr erwuchs die Landwirtschaft aus menschlichen Verhaltensweisen und pflanzlichen und tierischen Reaktionen oder Veränderungen, die ungewollt zur Domestikation führten. Bei Tieren kam es zum Teil deshalb dazu, weil Wildtiere als Heimtiere gehalten wurden, und zum Teil, weil Tiere lernten, Vorteile aus der Nähe des Menschen zu ziehen (so wie Wölfe oft Jägern folgen, um
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