Der dritte Schimpanse
Sammler sind gesunde Menschen, die selten krank werden, sich sehr abwechslungsreich ernähren und keine periodischen Hungersnöte erleben, von denen Bauern, die sich auf nur wenige Anbaupflanzen stützen, heimgesucht werden. Für Buschmänner, die sich von 85 eßbaren Wildpflanzen ernähren, ist es kaum vorstellbar zu verhungern, wie es etwa einer Million irischen Bauern samt Familien um 1840 erging, als ein Schädling ihr Hauptanbaugewächs und Grundnahrungsmittel, die Kartoffel, befiel.
Wenigstens für die modernen Jäger und Sammler trifft es also nicht zu, daß ihr Leben »gefährlich, roh und kurz« ist, obgleich sie von Bauern auf die wertlosesten Böden der Welt abgedrängt wurden. In der Vergangenheit, als ihnen noch fruchtbare Ländereien gehörten, kann es ihnen kaum schlechter ergangen sein als heute. Allerdings unterlagen alle modernen Jäger- und Sammlervölker jahrtausendelang dem Einfluß Ackerbau treibender Nachbarvölker, so daß sie uns keine Auskunft über das Jäger- und Sammlerdasein in der Zeit vor der landwirtschaftlichen Revolution geben können. Die Vertreter der Fortschrittsperspektive treffen jedoch eine Aussage über die ferne Vergangenheit : daß sich das Los der Menschen durch den Übergang von der Jagd zur Landwirtschaft überall in der Welt verbesserte. Den Zeitpunkt dieses Übergangs können Archäologen bestimmen, indem sie die Überreste von Wildpflanzen und -tieren in prähistorischen Abfallgruben von den Überresten von Haustieren unterscheiden. Wie aber kann man auf die Gesundheit jener prähistorischen Müllproduzenten schließen und so direkt untersuchen, was es mit den vermeintlichen Segnungen der Landwirtschaft auf sich hatte ?
Diese Frage läßt sich erst seit wenigen Jahren beantworten, und zwar dank der neuen Wissenschaft der »Paläopathologie«: der Suche nach Krankheitszeichen (Pathologie) an Angehörigen vor- und frühgeschichtlicher oder späterer Völker (vom griechischen Wort für »alt«, wie in Paläontologie). In einzelnen Glücksfällen steht dem Paläopathologen fast soviel Material für Untersuchungen zur Verfügung wie dem Pathologen. So fanden Archäologen in den Wüsten Chiles guterhaltene Mumien, deren gesundheitliche Verfassung zum Todeszeitpunkt durch Autopsie ebenso genau bestimmt werden konnte wie bei einer frischen Leiche im Krankenhaus. Fäkalien lange verstorbener Indianer, die in trockenen Höhlen im heutigen US-Bundesstaat Nevada gelebt hatten, waren gut genug erhalten, um sie auf Hakenwürmer und andere Parasiten zu untersuchen.
In der Regel sind Paläopathologen jedoch auf Skelette angewiesen, die allerdings verblüff end viel Aufschluß über den Gesundheitszustand lange Verstorbener geben. Zunächst einmal läßt sich vom Skelett das Geschlecht der betreffenden Person ablesen, ihr Gewicht und ungefähres Alter zum Todeszeitpunkt. Skelette ermöglichen dadurch, sofern in genügender Zahl vorhanden, die Ableitung von Sterblichkeitstabellen ähnlich denen, die Lebensversicherungen zur Berechnung der Lebenserwartung und Sterbewahrscheinlichkeit für jedes beliebige Alter verwenden. Paläopathologen können darüber hinaus die Wachstumsgeschwindigkeit von Kindern und Jugendlichen durch Messung der Knochen von Personen verschiedenen Alters ermitteln, Zähne auf Löcher (Zeichen für eine kohlenhydratreiche Ernährung) oder Schäden am Zahnschmelz (Zeichen für Mangelernährung in jungen Jahren) untersuchen und Spuren entdecken, die viele Krankheiten wie Anämie, Knochen- und Gelenkentzündung, Tuberkulose und Lepra an Knochen hinterlassen.
Ein einfaches Beispiel für das, was Paläopathologen von Skeletten erfuhren, ist die Veränderung der Körpergröße im Laufe der Geschichte. In der jüngeren Vergangenheit konnte vielfach gezeigt werden, daß eine verbesserte Ernährung im Kindesalter zu größerem Wuchs führt. So müssen wir uns oft bücken, um uns in alten Burgen, die für kleinere, schlechter ernährte Menschen gebaut waren, durch einen Eingang zu zwängen. Bei der Untersuchung frühgeschichtlicher Skelette aus Griechenland und der Türkei stießen Paläopathologen auf eine verblüffende Parallele. Die Durchschnittsgröße der in dieser Region lebenden Jäger und Sammler betrug gegen Ende des Eiszeitalters nicht weniger als 1,78 Meter (Männer) bzw. 1,68 Meter (Frauen). Mit dem Aufkommen der Landwirtschaft fiel sie und erreichte gegen 4000 v. Chr. ihren niedrigsten Wert von
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