Der dritte Schimpanse
programmiert, Kunst zu genießen, könnte sie die meisten ihrer nützlichen Funktionen gar nicht erfüllen.
Vielleicht können wir jetzt die Frage beantworten, warum Kunst in der uns bekannten Form für den Menschen und kein anderes Tier charakteristisch ist. Wenn gefangene Schimpansen zeichnen, warum dann keine freilebenden ? Ich schlage als Antwort vor, daß freilebende Schimpansen immer noch zuviel Zeit mit der Futtersuche und der Abwehr von Raubtieren und rivalisierenden Schimpansenhorden verbringen müssen. Hätten sie mehr Freizeit und die Mittel zur Herstellung von Farben, so würden sie auch malen. Der Beweis für meine Theorie sind wir ja selbst, mit unseren 98 Prozent Schimpansengenen.
Kapitel 10
Das zweischneidige Schwert der Landwirtschaft
Wir verdanken der Wissenschaft etliche einschneidende Änderungen an unserem eitlen Selbstbild. Die Astronomie lehrte uns, daß die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums ist, sondern nur einer von neun Planeten, der eine von Milliarden Sonnen umkreist. Von der Biologie erfuhren wir, daß der Mensch keine separate Schöpfung Gottes darstellt, sondern sich im Zuge der Evolution zusammen mit zig Millionen anderer Arten entwickelte. Nun geht die Archäologie daran, eine weitere Glaubensfeste zu zerstören : daß die Geschichte des Menschen während der letzten Million Jahre eine einzige Geschichte des Fortschritts gewesen ist.
Insbesondere führen neuere Entdeckungen zu dem Schluß, daß der Übergang zur Landwirtschaft (und Viehzucht), angeblich der entscheidende Schritt auf dem Weg zu einem besseren Leben, in Wirklichkeit ein Meilenstein in doppelter Hinsicht war, nämlich zum Schlechten wie zum Guten. Die Landwirtschaft brachte nicht nur eine drastische Steigerung der Lebensmittelerzeugung und -lagerung, sondern mit ihr kamen auch krasse soziale Ungleichheiten, die Ungleichheit von Mann und Frau, Krankheiten und Tyrannei – kurzum, die Kehrseiten unserer modernen Existenz. Somit steht die Landwirtschaft unter den in Teil III behandelten kulturellen Markenzeichen des Menschen auf halbem Wege zwischen den edlen Zügen aus Kapitel 8 und 9 (Kunst und Sprache) und unseren eindeutigen Lastern, die in vielen der übrigen Kapitel erörtert werden (Drogenmißbrauch, Genozid, Umweltzerstörung).
Amerikanern und Europäern des 20. Jahrhunderts erscheinen die Beweise, die für steten Fortschritt in der Vergangenheit und gegen diese neue Interpretation sprechen, als unwiderlegbar. Unser Los ist in fast jeder Hinsicht besser als das der Menschen im Mittelalter, die es wiederum leichter hatten als eiszeitliche Höhlenmenschen, die immer noch besser dran waren als Affen. Zählen Sie nur all die Vorteile auf, die wir genie-ßen. Wir verfügen über sehr reichliche und vielfältige Nahrung, die besten Werkzeuge und materiellen Güter, das längste und gesündeste Leben in der Geschichte der Menschheit. Die meisten von uns müssen weder Hunger noch Raubtiere fürchten. Unsere Energie bekommen wir überwiegend von Öl und Maschinen, nur selten ist unser Schweiß gefragt. Wer wollte da, in der Nachfolge der Maschinenstürmer des 19. Jahrhunderts, sein Leben heute gegen das eines Untertanen im Mittelalter, eines Höhlenmenschen oder Affen eintauschen?
Während des größten Teils der menschlichen Geschichte war unsere Lebensweise primitiv : Als »Jäger und Sammler« jagten wir Wild und sammelten wilde Pflanzenkost. Viele Anthropologen beschreiben das Jä-ger- und Sammlerdasein als »gefährlich, roh und kurz«.
Da keine Nahrung angebaut und nur ein geringer Teil aufbewahrt wurde, gab es (nach dieser Auffassung) keine Unterbrechung im zeitraubenden Kampf gegen das Verhungern, der jeden Tag von vorne anfing. Unsere Flucht aus diesem Elend begann erst nach dem Ende der letzten Eiszeit, als Menschen unabhängig voneinander in verschiedenen Teilen der Welt begannen, Pflanzen und Tiere zu domestizieren. Schritt für Schritt breitete sich die landwirtschaftliche Revolution über die Erde aus, bis nur noch wenige Stämme von Jägern und Sammlern übrigblieben.
Aus der unkritischen Fortschrittsperspektive, mit der ich aufgewachsen bin, stellt sich gar nicht die Frage, warum fast alle unsere Jäger- und-Sammler-Vorfahren zur Landwirtschaft übergingen. Natürlich taten sie das, weil die Landwirtschaft eine wirksame Methode ist, um mit weniger Arbeit mehr Nahrung zu bekommen. Die Pro-Hektar-Erträge unserer Anbaupflanzen sind weit
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