Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
Vom Netzwerk:
verwun­dete Beutetiere reißen zu können). Ähnlich war es im Frühstadium der Pflanzenkultivierung, als Wildpflan­zen geerntet und ihre Samen fortgeworfen wurden, mit der Folge einer zufälligen »Aussaat«. Das unvermeidli­che Resultat war die unbewußte Auslese solcher Pflan­zen- und Tierarten und -individuen, die für den Men­schen am nützlichsten waren. Erst später folgte die be­wußte Auslese.
    Wenden wir uns nun wieder der landwirtschaftlichen Re­volution zu, dem angeblichen Inbegriff des Fortschritts. Wie zu Beginn des Kapitels dargelegt, gehen wir ge­wohnheitsmäßig davon aus, daß uns der Übergang vom Jäger- und Sammlerdasein zur Landwirtschaft bessere Gesundheit, ein längeres Leben, mehr Sicherheit, Frei­zeit und die edle Kunst brachte. Hierfür scheint zwar al­les zu sprechen, der Beweis ist jedoch schwer zu erbrin­gen. Wie soll man denn auch zeigen, daß sich das Los der Menschen vor 10 000 Jahren verbesserte, als sie die Jagd aufgaben und zu Bauern wurden ? Bis vor kurzem war der Archäologie eine direkte Untersuchung dieser Frage verwehrt. Es standen nur indirekte Methoden zur Verfügung, deren Ergebnisse jedoch zur Überraschung vieler nicht mit der Vorstellung übereinstimmten, die Landwirtschaft sei ein reiner Segen gewesen.
    Hier ist ein Beispiel für einen solchen indirekten Test. Wären die Vorteile der Landwirtschaft so offenkundig, dürfte man erwarten, daß sie sich nach ihrem ersten Er­scheinen wie ein Lauffeuer ausbreitete. Archäologische Funde zeigen aber, daß die Landwirtschaft in Europa buchstäblich im Schneckentempo vorankam, nämlich um weniger als 1000 Meter im Jahr! Vom Nahen Osten, wo sie gegen 8000 v. Chr. erstmals auf den Plan trat, kroch sie nordwestwärts, erreichte um 6000 v. Chr. Grie­chenland und erst 2500 Jahre später England und Skan­dinavien. Das zeugt nicht gerade von einem Sturm der Begeisterung. Noch im 19. Jahrhundert entschieden sich die Indianer Kaliforniens, des heutigen Obstgartens von Amerika, für die Beibehaltung ihrer Lebensweise als Jä-ger und Sammler, obwohl sie durch den Handel mit bäu­erlichen Indianern in Arizona von der Landwirtschaft wußten. Waren sie wirklich nur zu blind ? Oder besa-ßen sie die Klugheit, hinter der glitzernden Fassade der Landwirtschaft auch die Nachteile zu erkennen?
    Ein weiterer indirekter Test, dem sich die unkriti­sche Haltung zur Landwirtschaft unterziehen muß, ist die Klärung der Frage, ob das Los der überleben­den Jäger und Sammler des 20. Jahrhunderts wirklich schlechter ist als das von Bauern. Über den ganzen Erd­ball verstreut, gibt es noch mehrere Dutzend sogenann­ter »primitiver Stämme«, die wie die Buschmänner der Kalahari-Wüste noch heute als Jäger und Sammler le­ben, zumeist in Gegenden mit schlechten Böden. Über­rascht stellte man fest, daß diese Jäger in der Regel über Freizeit verfügen, viel schlafen und nicht mehr arbeiten als ihre bäuerlichen Nachbarn. So sollen die Buschmän­ner im Durchschnitt 12 bis 19 Stunden pro Woche für die Nahrungsbeschaffung aufwenden. Ich möchte wis­sen, wie viele der Leser mit einer so kurzen Arbeitswo­che prahlen können. Ein Buschmann erwiderte auf die Frage, warum er nicht auch Landwirtschaft betreibe wie die Nachbarstämme : »Wozu etwas anpflanzen, wenn die Welt so voller Mongongo-Nüsse ist?«
    Natürlich füllt die Nahrungsbeschaffung allein noch nicht den Magen, da es noch der Zubereitung bedarf, und die kann zum Beispiel bei Mongongo-Nüssen viel Zeit kosten. Man soll also nicht den entgegengesetzten Fehler begehen und das Jäger- und Sammlerdasein als Leben in Muße betrachten. Es wäre jedoch auch falsch zu meinen, es erfordere härtere Arbeit als die bäuerliche Lebenswei­se. Verglichen mit den Ärzten und Anwälten meines Be­kanntenkreises oder mit meinen Großeltern, kleinen La­denbesitzern am Anfang unseres Jahrhunderts, besitzen Jäger und Sammler wirklich mehr Freizeit.
    Während Bauern vornehmlich Pflanzen mit hohem Kohlenhydratgehalt wie Reis und Kartoffeln anbauen, ist der Speiseplan heutiger Jäger- und Sammlervölker proteinreicher ; die Kombination von Wildpflanzen und -tieren sorgt für eine ausgewogenere Nährstoff versor­gung. Bei den Buschmännern beträgt die durchschnitt­liche tägliche Nahrungsaufnahme 2140 Kalorien und 93 Gramm Protein ; damit liegt sie erheblich über den amerikanischen Richtwerten für Personen ihres kleinen Wuchses und ihrer körperlich anstrengenden Tätigkeit. Jäger und

Weitere Kostenlose Bücher