Der dritte Schimpanse
verwundete Beutetiere reißen zu können). Ähnlich war es im Frühstadium der Pflanzenkultivierung, als Wildpflanzen geerntet und ihre Samen fortgeworfen wurden, mit der Folge einer zufälligen »Aussaat«. Das unvermeidliche Resultat war die unbewußte Auslese solcher Pflanzen- und Tierarten und -individuen, die für den Menschen am nützlichsten waren. Erst später folgte die bewußte Auslese.
Wenden wir uns nun wieder der landwirtschaftlichen Revolution zu, dem angeblichen Inbegriff des Fortschritts. Wie zu Beginn des Kapitels dargelegt, gehen wir gewohnheitsmäßig davon aus, daß uns der Übergang vom Jäger- und Sammlerdasein zur Landwirtschaft bessere Gesundheit, ein längeres Leben, mehr Sicherheit, Freizeit und die edle Kunst brachte. Hierfür scheint zwar alles zu sprechen, der Beweis ist jedoch schwer zu erbringen. Wie soll man denn auch zeigen, daß sich das Los der Menschen vor 10 000 Jahren verbesserte, als sie die Jagd aufgaben und zu Bauern wurden ? Bis vor kurzem war der Archäologie eine direkte Untersuchung dieser Frage verwehrt. Es standen nur indirekte Methoden zur Verfügung, deren Ergebnisse jedoch zur Überraschung vieler nicht mit der Vorstellung übereinstimmten, die Landwirtschaft sei ein reiner Segen gewesen.
Hier ist ein Beispiel für einen solchen indirekten Test. Wären die Vorteile der Landwirtschaft so offenkundig, dürfte man erwarten, daß sie sich nach ihrem ersten Erscheinen wie ein Lauffeuer ausbreitete. Archäologische Funde zeigen aber, daß die Landwirtschaft in Europa buchstäblich im Schneckentempo vorankam, nämlich um weniger als 1000 Meter im Jahr! Vom Nahen Osten, wo sie gegen 8000 v. Chr. erstmals auf den Plan trat, kroch sie nordwestwärts, erreichte um 6000 v. Chr. Griechenland und erst 2500 Jahre später England und Skandinavien. Das zeugt nicht gerade von einem Sturm der Begeisterung. Noch im 19. Jahrhundert entschieden sich die Indianer Kaliforniens, des heutigen Obstgartens von Amerika, für die Beibehaltung ihrer Lebensweise als Jä-ger und Sammler, obwohl sie durch den Handel mit bäuerlichen Indianern in Arizona von der Landwirtschaft wußten. Waren sie wirklich nur zu blind ? Oder besa-ßen sie die Klugheit, hinter der glitzernden Fassade der Landwirtschaft auch die Nachteile zu erkennen?
Ein weiterer indirekter Test, dem sich die unkritische Haltung zur Landwirtschaft unterziehen muß, ist die Klärung der Frage, ob das Los der überlebenden Jäger und Sammler des 20. Jahrhunderts wirklich schlechter ist als das von Bauern. Über den ganzen Erdball verstreut, gibt es noch mehrere Dutzend sogenannter »primitiver Stämme«, die wie die Buschmänner der Kalahari-Wüste noch heute als Jäger und Sammler leben, zumeist in Gegenden mit schlechten Böden. Überrascht stellte man fest, daß diese Jäger in der Regel über Freizeit verfügen, viel schlafen und nicht mehr arbeiten als ihre bäuerlichen Nachbarn. So sollen die Buschmänner im Durchschnitt 12 bis 19 Stunden pro Woche für die Nahrungsbeschaffung aufwenden. Ich möchte wissen, wie viele der Leser mit einer so kurzen Arbeitswoche prahlen können. Ein Buschmann erwiderte auf die Frage, warum er nicht auch Landwirtschaft betreibe wie die Nachbarstämme : »Wozu etwas anpflanzen, wenn die Welt so voller Mongongo-Nüsse ist?«
Natürlich füllt die Nahrungsbeschaffung allein noch nicht den Magen, da es noch der Zubereitung bedarf, und die kann zum Beispiel bei Mongongo-Nüssen viel Zeit kosten. Man soll also nicht den entgegengesetzten Fehler begehen und das Jäger- und Sammlerdasein als Leben in Muße betrachten. Es wäre jedoch auch falsch zu meinen, es erfordere härtere Arbeit als die bäuerliche Lebensweise. Verglichen mit den Ärzten und Anwälten meines Bekanntenkreises oder mit meinen Großeltern, kleinen Ladenbesitzern am Anfang unseres Jahrhunderts, besitzen Jäger und Sammler wirklich mehr Freizeit.
Während Bauern vornehmlich Pflanzen mit hohem Kohlenhydratgehalt wie Reis und Kartoffeln anbauen, ist der Speiseplan heutiger Jäger- und Sammlervölker proteinreicher ; die Kombination von Wildpflanzen und -tieren sorgt für eine ausgewogenere Nährstoff versorgung. Bei den Buschmännern beträgt die durchschnittliche tägliche Nahrungsaufnahme 2140 Kalorien und 93 Gramm Protein ; damit liegt sie erheblich über den amerikanischen Richtwerten für Personen ihres kleinen Wuchses und ihrer körperlich anstrengenden Tätigkeit. Jäger und
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