Der dritte Schimpanse
indem sie recht subjektive Bewertungen der Bedeutung von Unterschieden vornehmen. Danach gehört der Mensch wegen charakteristischer Funktionsmerkmale wie dem großen Hirnvolumen und der aufrechten Körperhaltung in eine eigene Familie, wobei die Messung genetischer Abstände keinen Einfluß auf solche Klassifikation hat.
Eine andere Richtung in der Taxonomie fordert jedoch, bei der Klassifikation müsse der Maßstab von Objektivität und Einheitlichkeit befolgt werden, und jede Einteilung müsse durch den genetischen Abstand oder die Zeitdauer der entwicklungsgeschichtlichen Trennung begründet sein. Alle Taxonomen sind sich heute darin einig, daß Zilpzalp und Fitis zur Gattung Phylloscopus gehören und die verschiedenen Gibbonarten zur Gattung Hylobates . Doch die Angehörigen dieser beiden Gattungen sind genetisch weiter voneinander entfernt als der Mensch von den beiden anderen Schimpansenarten, und auch die Zeitdauer der Auseinanderentwicklung ist länger. So gesehen bilden Menschen keine eigene Familie, geschweige denn eine Gattung, sondern sie gehören in die gleiche Gattung wie der gewöhnliche Schimpanse und der Zwergschimpanse. Da der Gattungsname Homo ältere Rechte besitzt als die Bezeichnung Pan für die »anderen« Schimpansen, hat er nach den Regeln der zoologischen Fachsprache Vorrang. Somit gibt es heute nicht eine, sondern drei Arten der Gattung Homo auf der Welt: den gewöhnlichen Schimpansen, Homo troglodytes ,den Zwergschimpansen, Homo paniscus ,und den dritten bzw. menschlichen Schimpansen, Homo sapiens . Da der Gorilla sich nur unwesentlich stärker unterscheidet, hat er eigentlich das Recht, als vierte Art der Gattung Homo zu gelten.
Aber selbst die Verfechter von Einheitlichkeit und Objektivität in der Taxonomie sind anthropozentrisch, so daß es auch für sie sicher eine bittere Pille sein wird, Mensch und Schimpansen in die gleiche Gattung einzuordnen. Es kann jedoch keinen Zweifel geben, daß spätestens dann, wenn sich die Schimpansen selbst mit dieser Frage beschäftigen werden oder Taxonomen aus dem Weltall die Erde besuchen, um ein Inventar ihrer Bewohner anzulegen, sie ohne Zögern die neue Klassifi -kation wählen werden.
Welche Gene sind es im einzelnen, in denen sich Mensch und Schimpanse unterscheiden ? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zunächst verstehen, was die DNS, unsere Erbsubstanz, eigentlich bewirkt.
Ein großer oder sogar überwiegender Teil von ihr hat keine bekannte Funktion und besteht womöglich nur aus »Molekül-Schrott«, das heißt aus DNS-Molekülen, die sich verdoppelt oder einstige Funktionen verloren haben und durch die natürliche Auslese nicht eliminiert wurden, weil sie uns nicht schaden. Die Hauptfunktionen der DNS hängen dagegen mit den langen Aminosäureketten zusammen, die wir Proteine nennen. Bestimmte Proteine sind am Aufbau unseres Körpers beteiligt (zum Beispiel Keratin für das Haar oder Kollagen für das Bindegewebe), während andere Proteine, Enzyme genannt, für die Synthese oder Zerlegung der meisten übrigen Moleküle unseres Körpers zuständig sind. Von der Abfolge der kleinen DNS-Moleküle, der Nukleotidbasen, hängt die Abfolge der Aminosäuren in unseren Proteinen ab. Wieder andere Teile der DNS regulieren die Proteinsynthese.
Jene unserer sichtbaren Merkmale, die sich genetisch am einfachsten verstehen lassen, sind die, welche von einzelnen Proteinen und Genen herrühren. So besteht das bereits erwähnte sauerstofft ransportierende Protein unseres Blutes, Hämoglobin, aus zwei Aminosäureketten, von denen jede durch einen einzigen DNS-Abschnitt (ein »Gen«) bestimmt wird. Die beiden Gene haben keinen weiteren beobachtbaren Effekt als den genannten, also die Definition der Struktur des Hämoglobins, das bekanntlich nur in den roten Blutkörperchen vorkommt. Umgekehrt wird die Hämoglobinstruktur von diesen Genen aber vollständig definiert. Wieviel man ißt oder Sport treibt, kann zwar die erzeugte Hä-moglobinmenge beeinflussen, nicht jedoch Einzelheiten seiner Struktur.
Dies ist der einfachste Sachverhalt, aber es gibt auch Gene, die Einfluß auf eine Vielzahl erkennbarer Merkmale nehmen. So ist die lebensbedrohliche Tay-Sachs-Erbkrankheit mit zahlreichen Verhaltens- und anatomischen Anomalien verbunden : Blindheit, starre Körperhaltung, gelbliche Hautfärbung, abnormes Kopfwachstum und weitere Veränderungen. In diesem Fall wissen wir, daß alle
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