Der dritte Schimpanse
gewöhnlichen Schimpansen ist kaum doppelt so groß wie der Abstand zwischen Zwergund gewöhnlichen Schimpansen (0,7 Prozent). Er ist kleiner als der Abstand zwischen zwei Gibbonarten (2,2 Prozent) oder zwischen so eng verwandten Vogelarten wie Fitis und Zilpzalp (2,6 Prozent). Die restlichen 98,4 Prozent unserer DNS sind ganz normale Schimpansen-DNS. So ist unser Hämoglobin, das Protein, das Sauerstoff transportiert und unser Blut rot färbt, in allen seinen 287 Bestandteilen identisch mit dem Hämoglobin der Schimpansen. Auch in dieser Hinsicht sind wir nur eine dritte Schimpansenart, nicht besser und nicht schlechter ausgestattet als die beiden anderen. Was uns so sichtbar unterscheidet – der aufrechte Gang, das gro-ße Hirnvolumen, die Sprache, die spärliche Behaarung und das sonderbare Sexualverhalten – muß auf ganze 1,6 Prozent unseres genetischen Programms konzentriert sein.
Nähmen die genetischen Abstände zwischen den Arten mit der Zeit gleichmäßig zu, so hätte man in ihnen eine zuverlässig funktionierende Uhr. Alles, was man zur Umrechnung genetischer Abstände in absolute Zeiträume seit dem letzten gemeinsamen Vorfahren braucht, ist eine Eichung mit Hilfe eines Artenpaares, von dem sowohl der genetische Abstand als auch der Zeitpunkt der Auseinanderentwicklung aufgrund von Fossilienfunden bekannt ist. Und in der Tat gibt es in zwei Fällen eine solche Eichung für höhere Primaten. Zum einen weiß man von Fossilienfunden her, daß Affen und Menschenaffen sich vor 25 bis 30 Millionen Jahren auseinanderentwickelten ; heute unterscheiden sie sich in ungefähr 7,3 Prozent der DNS. Zum anderen trennten sich die Orang-Utans vor zwölf bis 16 Millionen Jahren von den Schimpansen und Gorillas; sie unterscheiden sich jetzt in etwa 3,6 Prozent der DNS. Vergleicht man die beiden Beispiele, so ergibt sich, daß eine Verdoppelung der Evolutionszeit – von zwölf bis 16 auf 25 bis 30 Millionen Jahre – auch zu einer ungefähren Verdoppelung des genetischen Abstandes führt (von 3,6 auf 7,3 Prozent der DNS). Das heißt, die DNS-Uhr ist bei den hö-heren Primaten über die Jahrmillionen relativ gleichmä-ßig gelaufen.
Mit Hilfe dieser Eichung schätzten Sibley und Ahlquist den zeitlichen Ablauf der menschlichen Evolution wie folgt : Da der genetische Abstand zwischen Mensch und Schimpanse (1,6 Prozent) etwa die Hälfte des Abstands zwischen Orang-Utan und Schimpanse (3,6 Prozent) beträgt, müssen wir seit etwa der Hälfte der zwölf bis 16 Millionen Jahre, in denen sich der genetische Unterschied zwischen Orang-Utans und Schimpansen entwickelte, eigene Wege gegangen sein. Das heißt, daß die Evolutionslinien des Menschen und der »zwei anderen Schimpansen« vor sechs bis acht Millionen Jahren auseinanderliefen. Die gleiche Rechnung ergibt, daß sich der Gorilla vor ungefähr neun Millionen Jahren vom gemeinsamen Ahnen der drei Schimpansen trennte und der Zwerg- und der gewöhnliche Schimpanse sich vor rund drei Millionen Jahren auseinanderentwickelten. Als ich 1954 am College Anthropologie studierte, stand noch in den Lehrbüchern, der Mensch habe sich vor 15 bis 30 Millionen Jahren vom Menschenaffen getrennt. Die DNS-Uhr liefert somit gute Beweise für einen kontroversen Schluß, der auch aufgrund anderer Molekül-Uhren (auf der Grundlage von Aminosäuresequenzen von Proteinen und mitochondrialer DNS) gezogen wurde. Jede dieser Uhren zeigt an, daß der Mensch eine noch recht kurze eigene Geschichte hat, jedenfalls eine viel kürzere, als von Paläontologen immer vermutet wurde.
Was bedeuten nun diese Erkenntnisse für die Stellung des Menschen innerhalb des Tierreichs ? Biologen teilen alle Lebewesen in hierarchische Kategorien ein, von denen die jeweils höheren stets größere Unterschiede aufweisen als die vorhergehenden : Unterart, Art, Gattung, Familie, Überfamilie, Ordnung, Klasse und Abteilung. In der Encyclopedia Britannica und in allen biologischen Texten, die ich kenne, werden Menschen und Menschenaffen in die gleiche Ordnung eingestuft , nämlich die der Primaten, und auch in die gleiche Überfamilie mit der Bezeichnung Hominoiden, jedoch in separate Familien, und zwar in Hominiden (Menschenartige) und Pongiden (»Menschenaffen«). Ob sich diese Einstufung nach den Arbeiten von Sibley und Ahlquist ändert, hängt von der Philosophie der Klassifikation ab. Herkömmlicherweise ordnen Taxonomen die Arten in Kategorien ein,
Weitere Kostenlose Bücher