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Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Taubstum­men, penislosen männlichen Hermaphroditen, Früh­greisen oder Spätpubertierenden aus.
    Heute vermittelt uns das Fernsehen ein Bild von Re­gionen der Welt, die wir noch nicht gesehen haben. Auch aus Büchern können wir darüber erfahren. Für jede der großen Sprachen der Welt gibt es Wörterbücher, und in den meisten Dörfern, in denen unbedeutendere Spra­chen gesprochen werden, gibt es einige Bewohner, die einer der großen Sprachen mächtig sind. So erlernten Missionare während der letzten Jahrzehnte Hunderte neuguineischer und südamerikanischer Indiosprachen, und ich fand selbst in den abgelegensten Dörfern Neu­guineas stets jemanden, mit dem ich mich auf Indone­sisch oder Neomelanesisch unterhalten konnte. Sprach­barrieren vereiteln den weltweiten Informationsfluß heute nicht mehr. Fast jedes Dorf der Erde hat auf die­se Weise inzwischen einigermaßen direkte Erfahrungen mit der Außenwelt gesammelt und auch einigermaßen direkt über sich selbst Auskunft gegeben.
    Demgegenüber besaßen Völker, denen ein Erstkon­takt mit Fremden noch bevorstand, keine Möglichkeit, sich ein Bild von der Außenwelt zu machen oder direkt etwas über sie zu erfahren. Was sie wußten, war über eine lange Kette von Sprachen zu ihnen gekommen, wo­bei die Genauigkeit der Informationen mit jeder Sprache etwas abnahm – wie in dem Spiel »Stille Post«, bei dem Kinder im Kreis sitzen und eine Botschaft weiterflüstern, die am Ende mit der ursprünglichen nichts mehr gemein hat. Entsprechend hatten neuguineische Hoch­länder keine Vorstellung vom nur 150 Kilometer ent­fernten Ozean, und sie wußten nichts von den weißen Männern, die sich schon mehrere Jahrhunderte an ih­ren Küsten herumtrieben. Als sich die Hochländer Ge­danken darüber machten, warum die ersten weißen An­kömmlinge Hosen und Gürtel trugen, lautete eine ihrer Theorien, daß die Kleidungsstücke dazu dienten, einen enorm langen, um die Hüften gerollten Penis zu verber­gen. Manche Dani glaubten, daß die Angehörigen eines ihrer Nachbarstämme Gras fraßen und daß ihre Hände auf dem Rücken zusammengewachsen waren.
    Die traumatische Wirkung des Erstkontakts können wir heute nur schwer nachvollziehen. Die von Michael Leahy in den dreißiger Jahren »entdeckten« neuguinei­schen Hochländer erinnerten sich, 50 Jahre später da­nach befragt, noch genau an das, was sie in jenem Mo­ment gerade getan hatten. Die engste Parallele in der modernen Welt der Amerikaner und Europäer ist viel­leicht die Erinnerung an ein bedeutendes politisches Er­eignis, das wir selbst miterlebten. Die meisten Amerika­ner meiner Generation erinnern sich noch sehr gut an jenen Augenblick des 7. Dezember 1941, als sie vom ja­panischen Angriff auf Pearl Harbor erfuhren. Uns war schlagartig klar, daß unser Leben auf Jahre sehr anders sein würde. Doch selbst die Auswirkungen von Pearl Harbor und des Zweiten Weltkrieges auf die amerikani­sche Gesellschaft waren gering im Vergleich zu den Fol­gen, die der Erstkontakt mit Weißen für die neuguinei­schen Hochländer hatte. An jenem Tag änderte sich ihre Welt ein für allemal.
    Die Vorhut der Fremden revolutionierte die materielle Kultur der Hochländer durch die mitgebrachten Stahl-äxte und Streichhölzer, deren Überlegenheit über Stein-äxte und Reibhölzer sofort jedem klar war. Die Missio­nare und Verwaltungsbeamte, die bald folgten, verboten eingewurzelte Sitten und Bräuche wie Kannibalismus, Vielweiberei, Homosexualität und Kriegführung. Ande­re Bräuche wurden von den Stammesangehörigen spon­tan zugunsten neuer, die sie nun kennenlernten, aufge­geben. Doch es fand noch eine viel tiefgreifendere Er­schütterung der Vorstellungswelt der Hochländer statt :
    Sie und ihre Nachbarn waren nun nicht mehr die ein­zigen Menschen auf der Welt, mit der einzigen Lebens­weise.
    Ein Buch von Bob Conolly und Robin Anderson mit dem Titel First Contact schildert auf ergreifende Weise jenen Moment in der Geschichte der Bewohner des öst­lichen Hochlands aus der Erinnerung inzwischen geal­terter Neuguineer und Weißer, die sich dort in den drei-ßiger Jahren als junge Erwachsene oder Kinder begeg­neten. Zu Tode erschrockene Hochländer hielten die Weißen für zurückkehrende Geister, bis sie den Kot der Fremden ausgegraben und untersucht hatten; sie schick­ten verängstigte junge Mädchen zu den Eindringlingen, um mit ihnen zu schlafen, und entdeckten, daß auch die Weißen ihren Darm entleerten

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