Der dritte Schimpanse
schon bezahlte Profis solche Probleme haben, wer kann dann dem Normalbürger einen Vorwurf machen, wenn er nichts davon hö-ren möchte?
Lesen Sie die Reaktion von Robert Jay Lifton, einem amerikanischen Psychiater, der schon viel Erfahrung mit Überlebenden von Extremsituationen gesammelt hatte, bevor er Gespräche mit Überlebenden des Atombombenabwurfs auf Hiroshima führte :
»Ich hatte es jetzt also statt mit ›dem Atombombenproblem‹ mit den brutalen Einzelheiten der wirklichen Erlebnisse von Menschen zu tun, die mir gegenübersa-ßen. Ich stellte fest, daß ich am Anfang nach jedem dieser Gespräche zutiefst schockiert und seelisch erschöpft war. Doch schon sehr bald – nach nur wenigen Tagen – änderte sich meine Reaktion. Ich hörte mir die Schilderungen der gleichen Schreckenserlebnisse an, doch ihre Wirkung auf mich war schwächer geworden. Diese Erfahrung war eine unvergeßliche Demonstration des psychologischen Effekts, der für jeden Aspekt der Berührung mit Atombomben typisch ist.«
Welche Genozide müssen wir wohl in Zukunft noch vom Homo sapiens erwarten ? Genügend Gründe für Pessimismus liegen auf der Hand. Eine ganze Zahl von Orten auf der Welt scheint reif dafür : Südafrika, Nordirland, Sri Lanka, das frühere Jugoslawien, viele Teile der ehemaligen Sowjetunion und der Nahe Osten, um nur einige zu nennen. Totalitäre Regime mit der Entschlossenheit, Genozid zu verüben, sind davon wohl kaum abzuhalten. Moderne Waffen gestatten es, eine immer grö-ßere Zahl von Opfern umzubringen, Mord mit Schlips und Kragen zu begehen und sogar die Menschheit als ganze ins Jenseits zu befördern.
Zugleich sehe ich aber Gründe für vorsichtigen Optimismus, dafür, daß die Zukunft weniger mörderisch sein wird als die Vergangenheit. In vielen Staaten leben heute Menschen unterschiedlicher Rasse oder Religion zusammen, zwar nicht überall mit dem gleichen Maß an sozialer Gerechtigkeit, aber wenigstens ohne daß es zu offenem Massenmord kommt – zum Beispiel in der Schweiz, in Belgien, in Papua-Neuguinea, auf den Fidschi-Inseln und selbst in den USA nach Ishis Zeiten. Mehrere versuchte Genozide wurden durch Maßnahmen oder erwartete Reaktionen von dritter Seite erfolgreich gestoppt, in ihrem Umfang vermindert oder gar verhindert. Selbst die Judenvernichtung durch die Nazis, die wir als effizientesten und unaufhaltbarsten aller Genozide ansehen, wurde in Dänemark, Bulgarien und allen anderen besetzten Ländern, in denen das Oberhaupt der vorherrschenden Religionsgemeinschaft von Anfang an gegen die Judendeportation öffentlich Stellung bezog, vereitelt. Ein weiteres Hoffnungszeichen besteht darin, daß uns Tourismus, Fernsehen und Photographie in die Lage versetzen, andere Menschen, die viele tausend Kilometer von uns entfernt leben, als menschliche Wesen genau wie wir anzusehen. So sehr wir die Technik des 20. Jahrhunderts verfluchen mögen, so sehr verwischt sie auch den Unterschied zwischen »uns« und den »anderen«, der Genozid erst ermöglicht. Während das Anrichten von Massakern an »anderen« in der Welt vor der Zeit der Erstkontakte als sozial akzeptabel oder gar bewundernswert galt, läßt es sich heute aufgrund des internationalen Kulturaustauschs und der permanenten Verbreitung von Wissen über entfernt lebende Völker immer schwerer rechtfertigen.
Dennoch wird die Gefahr erneuter Genozide so lange fortbestehen, wie wir uns weigern, dieses Phänomen zu begreifen, und so lange wir uns einreden, daß nur abartig veranlagte Menschen zu so etwas imstande sind. Es ist zugegeben schwer, bei der Lektüre von Berichten über Genozid keine Gänsehaut zu bekommen. Man kann sich kaum vorstellen, wie wir selbst und andere nette Leute aus dem Bekanntenkreis dazu kommen sollten, hilflosen Menschen ins Gesicht zu schauen und sie umzubringen. Am nächsten kam ich dem Verständnis, als mir jemand, den ich lange kannte, von einem Massaker berichtete, das er mitverübt hatte.
Kariniga ist ein sanftmütiger Angehöriger des Tudawhe-Stammes, mit dem ich in Neuguinea zusammenarbeitete. Wir haben lebensgefährliche Situationen gemeinsam bestanden, Ängste und Triumphe geteilt, und ich schätze und bewundere ihn. Eines Abends, ich kannte Kariniga schon fünf Jahre, berichtete er mir von einer Episode aus seiner Jugend. Seit vielen Jahren hatte damals ein Konflikt zwischen den Tudawhes und einem benachbarten Dorf der Daribi geschwelt. Für
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