Der dritte Schimpanse
Unklar ist jedoch, ob die ausgekehlten Projektilspitzen für Speere, Spieße oder Lanzen dienten. Wie dem auch sei, wurden sie mit solcher Wucht in die Leiber von Großsäugetieren befördert, daß sie manchmal in zwei Teile zerbrachen oder Knochen durchschlugen. Bei ausgegrabenen Mammut- und Büffelskeletten fand man Clovis-Spitzen im Brustkorb ; ein Mammut in Südarizona war mit nicht weniger als acht Spitzen zur Strecke gebracht worden. An freigelegten Clovis-Stätten waren Mammute bei weitem die häufigste Beute (nach der Zahl der Knochen zu urteilen). Doch unter den Opfern befanden sich auch Büffel, Mastodonten, Tapire, Kamele, Pferde und Bären.
Zu den verblüffenden Erkenntnissen über die Clovis-Menschen gehört auch das Tempo ihrer Ausbreitung. Sämtliche Clovis-Stätten in den USA, deren Datierung mit den modernsten Radiokarbontechniken erfolgte, waren nur wenige Jahrhunderte lang bewohnt, und zwar in der Zeit vor etwas über 11 000 Jahren. Selbst am Südzipfel Patagoniens wurde eine menschliche Siedlung auf die Zeit vor etwa 10 500 Jahren datiert. Innerhalb von rund tausend Jahren nach Durchquerung des eisfreien Korridors hatten sich Menschen somit in Ost-West- und Nord-Süd-Richtung in der gesamten Neuen Welt ausgebreitet.
Nicht weniger verblüffend ist die rasche Transformation der Clovis-Kultur. Vor rund 11 000 Jahren wurden die Clovis-Projektile abrupt durch kleinere, feiner gearbeitete Projektile ersetzt, die nach dem Ort Folsom in New Mexico, in dessen Nähe man sie zuerst entdeckte, benannt wurden. Folsom-Projektile fand man oft bei den Knochen eines ausgestorbenen Breithornbüffels, nie aber bei den von den Clovis-Jägern bevorzugten Mammuten.
Vielleicht lag der Grund dafür, daß die Folsom-Jä-ger von Mammuts zu Büffeln übergingen, einfach darin, daß es keine Mammute mehr gab. Und auch keine Mastodonten, Kamele, Pferde, Riesenbodenfaultiere und mehrere Dutzend andere Arten von Großsäugetieren. Alles in allem verlor Nordamerika um diese Zeit ganze 73 Prozent und Südamerika sogar 80 Prozent seiner Großsäugetierarten. Viele Paläontologen sehen in den Clovis-Jägern nicht die Urheber dieser Welle des Aussterbens in Amerika, da keine Beweise für ein massenhaftes Abschlachten von Großtieren vorliegen – es gibt nur die fossilen Knochen von ein paar Kadavern hier und da. Vielmehr lag die Ursache nach Ansicht dieser Wissenschaftler in den klimatischen und lebensräumlichen Veränderungen am Ende der Eiszeit, also genau in der Zeit, als die Clovis-Jäger eintrafen. Diese Argumentation ist mir aus mehreren Gründen unverständlich. Eisfreie Lebensräume für Säugetiere wurden doch grö-ßer statt kleiner, als sich die Gletscher zurückzogen und Wäldern und Graslandschaften Platz machten. Außerdem hatten amerikanische Säugetiere bereits das Ende von mindestens 22 vorhergehenden Eiszeiten überstanden, ohne daß es zu einer solchen Welle des Aussterbens gekommen war. Und schließlich starben in Europa und Asien viel weniger Arten aus, als die Gletscher dort etwa zur gleichen Zeit abschmolzen.
Bei einem Klimawandel als Ursache wären gegenteilige Auswirkungen auf Arten zu erwarten gewesen, die ein heißes beziehungsweise kaltes Klima bevorzugen. Doch statt dessen bezeugen Fossilien aus dem Grand Canyon, die mit Hilfe der Radiokarbonmethode datiert wurden, daß die Harrington-Bergziege und das Shasta-Bodenfaultier beide im Abstand von nur ein- oder zweihundert Jahren vor etwas über 11 000 Jahren ausstarben, obwohl die Bergziege aus einer kalten und das Faultier aus einer heißen Region stammte. Bis kurz vor seinem plötzlichen Aussterben war das Faultier stark verbreitet. In den in Höhlen im Südwesten der USA sehr gut erhaltenen, softballgroßen Dungkugeln dieser Art konnten Botaniker Überreste der Pflanzen identifizieren, von denen sich die letzten Faultiere ernährt hatten. Dabei handelte es sich um verschiedene Malvenarten, die noch heute in der Umgebung dieser Höhlen wachsen. Es ist schon höchst verdächtig, daß die wohlgenährten Faultiere und die Ziegen des Grand Canyon gleich nach Ankunft der Clovis-Jäger in Arizona verschwanden. Nicht selten wurden Mörder aufgrund weniger hieb- und stichfester Beweise an den Galgen gebracht. Sollte es wirklich das Klima gewesen sein, das den Faultieren den Todesstoß versetzte, so müßten wir diesen vermeintlich dummen Viechern eine unerwartet hohe Intelligenz bescheinigen, da sie
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