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Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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mit dem Kreischen einer Frau, schleppte er sich auf dem Bauch davon und verschwand zwischen den Büschen, und er, Dimmi, sah, daß die anderen Jungen weg waren, und lief ihnen nach. Zum Schluß fand er sie auf dem Parkplatz unterm Haus versteckt, wo ein Wasserhahn war, an dem sie sich schon das Blut abgespült hatten, aber ihn nicht zum Waschen ranließen, sondern ihn beschuldigten, seinetwegen sei Winston nun weder lebendig noch tot, reinste Tierquälerei, und seinetwegen sei Ronens Messer von zu Hause abgebrochen und sicher werde er auch noch petzen, man kenne ihn ja, und damit begannen sie ihn zu treten und brachten ein neues Tau bei, und Ninja sagte, jetzt gibt’s hier ’ne Intifada, jetzt wird Dimmi aufgehängt. Nur Ronen war relativ in Ordnung, als er sagte, erst sollten sie ihn seine Brille beiseite legen lassen, damit sie nicht kaputtginge. Deshalb konnte er nicht sehen, wer ihn gefesselt und wer sich nach den Prügeln hingestellt und auf ihn gepinkelt hatte. Danach hatten sie ihn gebunden dort unten auf dem Parkplatz gelassen, waren weggerannt und hatten gerufen, es geschähe ihm ganz recht, warum habe er Winston umgebracht? Der Nachbarin, bei der er war, hatte er nichts erzählt. Hatte erklärt, er hätte sich in einer Pfütze schmutzig gemacht. Wenn er’s den Eltern gestehen würde, wär’ das sein Ende.
    »Wirst du’s ihnen verraten, Fima?«
    Fima sann darüber nach. Während der ganzen Beichte hatte er unablässig das weißblonde Haar gestreichelt. Wie in einem bösen Traum hatte er das Gefühl, der Hund, Dimmi und er selber würden in seinem Herzen eins. In demselben Psalm, in dem es hieß, abgestumpft und satt ist ihr Herz, stand ja auch: Meine Seele zerfließt vor Kummer. Dann sagte er mit ernstem Nachdruck: »Nein, Dimmi, ich werde nichts verraten.«
    Der Junge blickte ihn schräg von unten an, wobei seine Kaninchenaugen hinter den dicken Gläsern Fima warm und vertrauensvoll erschienen, als wolle er damit illustrieren, was er vorher von dem Blick des Hundes erzählt hatte. Und so sah Liebe aus.
    Fima erschauerte, als hätte er aus den Tiefen des Dunkels, des Windes und des Regens draußen das irrende Echo eines schwachen, erstickten Jaulens herausgehört.
    Plötzlich streichelte er den Kopf des kleinen Challengers und schob ihn fest unter seinen Zottelbärpullover. Als sei er hochschwanger mit ihm. Einen Moment später machte Dimmi sich frei und fragte: »Aber warum?«
    »Warum was?«
    »Warum bist du bereit, es ihnen nicht zu verraten?«
    »Weil Winston damit nicht mehr geholfen ist und du schon genug leidest.«
    »Du bist einigermaßen in Ordnung, Fima.« Und dann: »Obwohl du ein ziemlich komischer Mensch bist. Hinter deinem Rücken nennen sie dich manchmal einen Clown. Und du bist wirklich ein bißchen wie ein Clown.«
    »Jetzt trinkst du ein Glas Milch, Dimmi. Und wo finde ich dieses Valium? Deine Mutter hat gesagt, ich soll dir eine halbe Tablette geben.«
    »Ich bin auch ein Clownkind. Aber ich bin nicht in Ordnung. Ich hätte dagegen angehen müssen. Hätt’ nicht mitmachen dürfen.«
    »Sie haben dich doch gezwungen.«
    »Aber es war Mord.«
    »Das kann man nicht wissen«, meinte Fima behutsam, »vielleicht ist er nur verwundet.«
    »Er hat einen Haufen Blut verloren. Ein Meer von Blut.«
    »Manchmal kann sogar eine Schramme stark bluten. Als Junge bin ich einmal einen Zaun entlang balanciert, aber abgerutscht, und aus so einer kleinen Wunde am Kopf ist das Blut nur so in Strömen gelaufen. Großvater Baruch wär’ beinah in Ohnmacht gefallen.«
    »Ich hasse sie.«
    »Es sind Kinder, Dimmi. Kinder handeln manchmal sehr grausam, nur weil sie nicht genug Phantasie haben zu begreifen, was Schmerz ist.«
    »Nicht die Kinder, sie«, sagte Dimmi. »Wenn sie die Wahl gehabt hätten, hätten sie mich nicht zu ihrem Kind erkoren und ich sie auch nicht zu meinenEltern. Das ist ungerecht, daß man bei der Ehe wählen kann, aber bei der Elternschaft nicht, und Scheidung gibt’s auch keine. Fima?«
    »Ja.«
    »Du, nehmen wir uns jetzt eine Taschenlampe? Stecken Verbandszeug ein und gehen runter? Im Wadi suchen?«
    »In dieser Dunkelheit und noch dazu bei Regen haben wir keine Aussicht, ihn zu finden.«
    »Eigentlich hast du recht«, meinte Dimmi. »Wir haben keine Chance. Aber laß uns trotzdem suchen gehen. Damit wir wenigstens wissen, daß wir’s versucht haben, wenn auch ohne Erfolg.« Dabei kam er Fima plötzlich wie eine verkleinerte Kopie seines gemäßigten, logisch denkenden Vaters vor.

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