Der Dritte Zwilling.
Am Dienstag hat er sich geärgert, weil ich ihm nichts zu Abend gekocht habe. Am Mittwoch verschwand er mit meinem Computer, meinem Fernsehgerät und meiner Stereoanlage. Er muß bereits alles ausgegeben oder verspielt haben, was er dafür bekommen hat.«
Patty schnappte nach Luft. »O Jeannie, das ist ja schrecklich!«
»Ja, nicht wahr? Also schließ lieber deine Wertsachen weg.«
»Seine eigene Familie zu bestehlen! O Gott, wenn Zip das erfährt, schmeißt er ihn raus!«
»Patty, ich habe sogar noch schlimmere Probleme. Ich verliere heute vielleicht meine Stellung.«
»Warum, Jeannie?«
»Ich habe momentan keine Zeit, es dir zu erklären, aber ich rufe dich später an.«
»Okay.«
»Hast du mit Mom gesprochen?«
»Jeden Tag.«
»Oh, gut, da bin ich froh. Ich habe sie einmal erreicht, aber als ich das nächste Mal anrief, war sie gerade beim Mittagessen.«
»Die Leute dort am Telefon sind alles andere als hilfsbereit. Wir müssen Mom bald herausholen!«
Sie wird noch sehr viel länger dortbleiben, wenn man mich heute feuert. »Also, dann bis später.«
»Ich halte dir die Daumen, daß alles gutgeht.«
Jeannie legte auf. Jetzt erst bemerkte sie, daß eine Tasse mit noch dampfendem Kaffee auf dem Tischchen stand. Sie schüttelte staunend den Kopf. Es war nur ein Becher Kaffee, aber was sie so verwunderte, war, daß Steve genau wußte, was sie brauchte. Offenbar war es für ihn selbstverständlich zu helfen. Und er erwartete keine Gegenleistung. Nach ihrer Erfahrung, bei den seltenen Gelegenheiten, wenn ein Mann die Bedürfnisse einer Frau vor seine stellte, erwartete er dafür, daß sie sich aus Dankbarkeit einen Monat ihm gegenüber wie eine Geisha benahm.
Steve war anders. Hätte ich gewußt, daß es Männer auch in dieser Ausführung gibt, hätte ich mir schon Vor Jahren so einen bestellt.
Seit sie erwachsen war, hatte sie alles allein getan. Ihr Vater war nie dagewesen, ihr zu helfen. Mom hatte stets Stärke demonstriert, was jedoch schließlich fast ebenso zu einem Problem geworden war wie Daddys Schwäche. Mom hatte Pläne für Jeannie gehabt und war nicht bereit gewesen, sie aufzugeben. Sie hatte Jeannie zwei Wochen vor ihrem sechzehnten Geburtstag sogar einen Job besorgt; sie sollte im Salon Alexis in Adams-Morgan Haare waschen und den Boden fegen. Jeannies Wunsch, Wissenschaftlerin zu werden, war ihr völlig unbegreiflich. »Du könntest bereits voll ausgebildete Hairstylistin sein, ehe deine Klassenkameradinnen das College abgeschlossen haben!« hatte Mom gesagt und nie verstanden, weshalb Jeannie einen Wutanfall bekommen und sich geweigert hatte, den Salon auch nur anzusehen.
Heute war sie nicht allein. Steve stand ihr bei. Es spielte keine Rolle, daß er mit seinem Studium noch nicht fertig war - ein Prominentenanwalt mußte zur Beeindruckung von fünf Professoren nicht unbedingt die beste Wahl sein.
Wichtig war, daß er bei ihr war.
Sie schlüpfte in ihren Bademantel und rief Steve zu: »Willst du jetzt unter die Dusche?«
»Klar.« Er kam ins Schlafzimmer. »Wenn ich nur ein frisches Hemd hätte!«
»Herrenhemden habe ich leider keine - halt, warte, ich habe doch eins!« Sie erinnerte sich an das weiße Ralph-Lauren-Hemd, das sie nach dem Feuer für Lisa geborgt hatte. Es gehörte einem Mathe-Studenten. Jeannie hatte es zur Wäsche gegeben, und jetzt lag es in Zellophan verpackt in ihrem Schrank. Sie gab es Steve.
»Meine Größe!« rief er erfreut. »Perfekt.«
»Frag mich bitte jetzt nicht, wie ich dazu gekommen bin, das ist eine zu lange Geschichte. Ich glaube, ich habe auch irgendwo einen Schlips.« Sie zog eine Schublade heraus und brachte eine blaue, getupfte Seidenkrawatte zum Vorschein, die sie manchmal, wenn sie nicht zu weiblich, aber schick wirken wollte, zu einer weißen Bluse trug.
»Danke.« Er ging in das winzige Badezimmer.
Sie war ein bißchen enttäuscht, weil sie gehofft hatte, er würde sein Hemd vor ihr ausziehen. Männer, dachte sie, die Miesen ziehen sich schamlos vor einem aus, und die Netten sind keuscher als Nonnen.
»Darf ich deinen Rasierapparat benutzen?« rief er.
»Klar doch. Bedien dich.« Memo an mich: Geh mit diesem Jungen ins Bett, bevor er zu sehr wie ein Bruder wird.
Sie suchte nach ihrem teuren schwarzen Kostüm und erinnerte sich, daß sie es gestern in den Mülleimer gestopft hatte. »Idiotin!« murmelte sie. Sie konnte es zwar wieder herausziehen, aber es würde jetzt zerknittert und schmutzig sein. Im Schrank hing ein grellblauer
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