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Der Dritte Zwilling.

Der Dritte Zwilling.

Titel: Der Dritte Zwilling. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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tüchtig, so verläßlich, so unermüdlich. Es brach einem das Herz, nun diese vergeßliche, nörglerische Frau auf dem Bett zu sehen.
    Mom runzelte die Stirn, als wäre sie verwundert, und fragte: »Jeannie, warum hast du einen Ring in der Nase?«
    Jeannie berührte den filigranen Silberreif und lächelte matt. »Ich habe mir die Nase schon als Mädchen durchstechen lassen, Mom. Weißt du denn nicht mehr, wie sehr du dich darüber aufgeregt hast? Damals dachte ich, du würdest mich auf die Straße setzen.«
    »Ich vergess’ schon mal was«, sagte Mom.
    »Dafür kann ich mich noch sehr gut daran erinnern«, sagte Patty zu ihrer Schwester. »Ich hielt es für das Allergrößte. Aber ich war elf, und du warst vierzehn, und ich fand alles stark und geil und ätzend, was du getan hast.«
    »Vielleicht war es das ja auch«, erwiderte Jeannie mit gespielter Eitelkeit.
    Patty kicherte. »Aber nicht die orangene Jacke.«
    »O Gott, die Jacke! Zum Schluß hat Mom sie verbrannt, als ich in einem leerstehenden Haus gepennt und mir dabei Flöhe eingefangen hatte.«
    »Daran kann ich mich erinnern«, sagte Mom. »Flöhe! Eines meiner Kinder!«
    Fünfzehn Jahre später war sie immer noch böse darauf.
    Mit einem Mal hatte die Stimmung sich aufgehellt. Die alten Geschichten hatten die Frauen daran erinnert, wie nahe sie einander gewesen waren. Es war ein günstiger Zeitpunkt, sich zu verabschieden. »Ich mache mich jetzt auf den Weg«, sagte Jeannie und erhob sich. 
    »Ich auch«, sagte Patty. »Ich muß das Abendessen kochen.«
    Dennoch ging keine der beiden zur Tür. Jeannie kam sich vor, als würde sie ihre Mutter aufgeben, sie in der Not allein lassen. Niemand hier liebte sie. Sie brauchte eine Familie, die sich um sie kümmerte. Jeannie und Patty sollten bei ihr bleiben und für sie kochen und ihre Nachthemden bügeln und im Fernseher ihre Lieblingssendung einstellen.
    »Wann sehe ich euch wieder?« fragte Mom.
    Jeannie zögerte. Sie wollte sagen: »Morgen. Ich bringe dir das Frühstück und bleibe den ganzen Tag bei dir.« Aber das war unmöglich; sie hatte eine arbeitsreiche Woche vor sich. Schuldgefühle stiegen in ihr auf. Wie kann ich nur so grausam sein?
    Patty half ihr aus der Klemme. »Ich komme morgen vorbei, Mom«, sagte sie.
    »Und ich bringe die Kinder mit. Das wird dir gefallen.«
    Doch so leicht wollte Mom Jeannie nicht davonkommen lassen. »Kommst du auch, Jeannie?«
    Jeannie fiel das Reden schwer. »Sobald ich kann.« Mit einem kummervollen Schluchzer beugte sie sich vor und küßte ihre Mutter. »Ich liebe dich, Mom. Das darfst du nie vergessen.«
    Kaum waren sie aus der Tür, brach Patty in Tränen aus.
    Auch Jeannie war nach Weinen zumute; aber sie war die ältere Schwester, und sie hatte sich vor langer Zeit daran gewöhnt, die eigenen Gefühle im Zaum zu halten, wenn sie sich um Patty kümmerte. Sie legte der Schwester den Arm um die Schultern, als sie über den Flur gingen, in dem es nach Desinfektionsmitteln roch. Patty war kein schwacher Mensch, doch sie war fügsamer als die kämpferische und willensstarke Jeannie. Mom hatte Jeannie stets kritisiert und erklärt, sie solle sich ein Beispiel an Patty nehmen.
    »Ich wollte, ich könnte sie zu mir nach Hause holen, aber das geht nicht«, sagte Patty kläglich.
    Jeannie gab ihr recht. Patty war mit einem Schreiner namens Zip verheiratet. Sie wohnten in einem kleinen Reihenhaus mit zwei Schlafzimmern. Das zweite Schlafzimmer teilten sich ihre drei Söhne. Davey war sechs, Mel vier und Tom zwei. Da war kein Platz mehr, Oma unterzubringen.
    Jeannie war Single. Als Assistenzprofessorin an der Jones-Falls-Universität verdiente sie dreißigtausend Dollar im Jahr - sehr viel weniger als Pattys Ehemann, wie sie vermutete. Sie hatte vor kurzem ihre erste Hypothek aufgenommen, eine Zweizimmerwohnung gekauft und einen Kredit für die Möbel aufgenommen. Eines der Zimmer war ein Wohnraum mit Kochnische, das andere ein Schlafzimmer mit Wandschrank und einem winzigen Bad. Würde sie Mom ihr Bett überlassen, müßte sie jede Nacht auf der Couch schlafen; außerdem war tagsüber niemand in der Wohnung, der sich um eine Frau kümmern konnte, die an der Alzheimerschen Krankheit litt. »Ich kann sie auch nicht zu mir nehmen«, sagte Jeannie.
    Hinter dem Tränenschleier blitzte Zorn in Pattys Augen auf. »Warum hast du ihr dann gesagt, wir würden sie da rausholen? Das schaffen wir doch nicht!«
    Draußen blieben sie in der sengenden Hitze stehen. »Morgen gehe ich zur

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