Der Dritte Zwilling.
genug, sich um mich zu kümmern.«
Jeannie entging nicht der Anflug des Vorwurfs. Wie Mom war auch Patty der Meinung, daß irgendetwas nicht stimmte, wenn jemand mit neunundzwanzig Jahren noch keine Kinder hatte. »Daß man dieses Gen entdeckt hat, stellt aber auch eine Hoffnung dar«, erklärte Jeannie. »Es bedeutet möglicherweise, daß man uns einen veränderten Typus unserer eigenen DNS spritzen kann, wenn wir in Moms Alter sind. Eine DNS, die das verhängnisvolle Gen nicht aufweist.«
»Darüber haben sie im Fernsehen auch gesprochen. Dabei geht es um eine Technologie zum Austausch winziger Bestandteile des Erbmaterials, stimmt’s?«
Jeannie lächelte ihre Schwester an. »Stimmt.«
»Ich bin gar nicht so dumm, weißt du.«
»Ich hab’ dich auch nie für dumm gehalten.«
»Aber die Sache ist doch die«, sagte Patty nachdenklich, »daß die DNS uns zu dem macht, was wir sind. Wenn man die DNS verändert, erschafft man dann nicht einen anderen Menschen?«
»Es ist nicht allein die DNS, die dich zu dem macht, was du bist. Es liegt auch an der Erziehung. Um diese Fragen dreht sich meine ganze Arbeit.«
»Wie kommst du im neuen Job eigentlich zurecht?«
»Er ist aufregend. Und meine große Chance, Patty. Mein Artikel über die Frage, ob die Kriminalität in unseren Genen angelegt ist, ist von vielen gelesen worden.«
Der Artikel war im Jahr zuvor erschienen, als Jeannie noch an der Universität von Minnesota gewesen war. Der Name ihres vorgesetzten Professors hatte über dem Jeannies gestanden; aber die Forschungsarbeit stammte von ihr.
»Ich habe nie so richtig verstanden, ob du in dem Artikel sagen wolltest, daß kriminelle Veranlagung erblich ist oder nicht.«
»Ich habe vier ererbte Eigenschaften bestimmt, die zu kriminellen Handlungen führen: Impulsivität, Wagemut, Aggressivität und Hyperaktivität. Aber meine eigentliche Theorie läuft darauf hinaus, daß bestimmte Methoden der Kindererziehung diesen Eigenschaften entgegenwirken und potentielle Verbrecher in brave Mitmenschen verwandeln. «
»Wie könnte man so etwas jemals beweisen?«
»Indem man eineiige Zwillinge studiert, die getrennt aufgewachsen sind. Eineiige Zwillinge besitzen die gleiche DNS. Wenn sie nach der Geburt von verschiedenen Pflegeeltern adoptiert oder aus anderen Gründen getrennt werden, dann werden sie unterschiedlich erzogen. Deshalb suche ich nach Zwillingspaaren, bei denen eines der Geschwister kriminell ist, das andere nicht. Dann untersuche ich, wie die Geschwister aufgezogen wurden und was die jeweiligen Eltern anders gemacht haben.«
»Deine Arbeit ist wirklich wichtig«, sagte Patty.
»Ich glaube schon.«
»Wir müssen herausfinden, weshalb sich in der heutigen Zeit so viele Menschen zum Schlechten entwickeln.«
Jeannie nickte. Genau darum ging es, kurz und bündig.
Patty ging zu ihrem Wagen, einem großen alten Ford-Kombi; der Gepäckraum war vollgestopft mit Kindersachen in leuchtenden Farben: ein Dreirad, ein zusammengeklappter Kinderwagen, eine kunterbunte Sammlung von Schlägern und Bällen und ein großer Spielzeuglaster mit einem zerbrochenen Rad.
»Gib den Jungs einen dicken Kuß von mir, ja?« sagte Jeannie.
»Danke. Ich ruf dich morgen an, wenn ich bei Mom gewesen bin.«
Jeannie holte die Wagenschlüssel hervor und zögerte; dann ging sie zu Patty und umarmte sie. »Ich liebe dich, kleine Schwester.«
»Ich dich auch.«
Jeannie stieg ein und fuhr los.
Sie fühlte sich unruhig und aufgewühlt, von Gefühlen erfüllt, über die sie sich nicht im klaren war - Gefühle gegenüber Mom und Patty und dem Vater, der nicht da war. Sie gelangte auf die Interstate 70 und schlängelte sich, wie immer mit überhöhter Geschwindigkeit, durch den Verkehr. Dabei fragte sie sich, was sie mit dem Rest des Tages anfangen sollte. Dann fiel ihr ein, daß sie um sechs zu einem Tennismatch verabredet war; anschließend wollte sie mit einer Gruppe Studienabsolventen und jungen Angehörigen des Psychologischen Instituts auf ein paar Bierchen und eine Pizza ausgehen. Jeannies erster Gedanke war, den ganzen Abend sausen zu lassen. Aber zu Hause sitzen und grübeln wollte sie auch nicht. Sie beschloß, zum Tennis zu gehen; die körperliche Anstrengung würde dafür sorgen, daß sie sich besser fühlte. Anschließend würde sie ein Stündchen in Andy’s Bar gehen und sich dann früh aufs Ohr legen.
Doch es sollte anders kommen.
Ihr Tennisgegner war Jack Budgen, der Chefbibliothekar der Universität. Er hatte mal in
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