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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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es? Sehr viel Geld hab ich nicht.«
    »Sagen wir zwanzig Cent fürs Abendbrot. Für die Scheune nehm ich Ihnen nichts ab.«
    So ging Jurgis mit ins Haus und setzte sich zu der Farmersfrau und einem halben Dutzend Kinder an den Tisch. Der war reichlich gedeckt: gebackene Bohnen, Quetschkartoffeln, gedünstete Brechspargel und eine Schale Erdbeeren, dazu große, dicke Scheiben Brot und ein Krug Milch. Seit seiner Hochzeit hatte Jurgis kein so üppiges Mahl vorgesetzt bekommen, und er strengte sich tüchtig an, seine zwanzig Cent abzuessen. Zum Reden waren alle zu hungrig, aber hinterher setzten sie sich draußen auf die Stufen zum Haus und rauchten, und der Farmer fragte seinen Gast aus.
    Nachdem Jurgis erklärt hatte, er sei Arbeiter aus Chicago und wisse noch nicht, wohin seine Reise geht, sagte der Mann: »Warum bleiben Sie nicht hier und arbeiten bei mir?«
    »Ich bin momentan nicht auf Arbeitsuche«, antwortete Jurgis.
    »Ich zahle gut«, fuhr der Farmer fort, während er Jurgis’ Hünengestalt betrachtete. »Einen Dollar den Tag und Kost und Logis frei. Wir haben hier schrecklichen Mangel an Leuten.«
    »Gilt das Angebot für den Winter ebenso wie für den Sommer?« fragte Jurgis.
    »N-nein. Länger als bis November könnte ich Sie nicht behalten. Dafür ist die Farm nicht groß genug.«
    »Genau das dachte ich mir«, sagte Jurgis. »Wenn im Herbst Ihre Pferde die Ernte eingebracht haben, jagen Sie sie dann hinaus in den Schnee?« Jurgis fing an, selbständig zu denken.
    »Das ist nicht ganz dasselbe«, entgegnete der Farmer, der verstand, worauf Jurgis hinaus wollte. »Im Winter müßte ein kräftiger Kerl wie Sie doch in den Städten oder irgendwo anders Arbeit finden.«
    »Ja«, sagte Jurgis, »das denken alle, und so kommen sie in Massen in die Städte geströmt, aber wenn sie dann betteln oder stehlen müssen, um sich am Leben zu halten, fragen die Leute sie, warum sie nicht aufs Land gehen, wo Arbeitskräfte so knapp sind.«
    Der Farmer dachte ein Weilchen nach. »Aber was machen Sie, wenn Ihnen das Geld ausgeht?« sagte er schließlich. »Da müssen Sie ja wohl arbeiten, oder?«
    »Warten wir erst mal ab, bis es alle ist«, gab Jurgis zurück.« »Dann werden wir schon weitersehen.«
    Er schlief sich in der Scheune schön aus, und dann gab es ein gutes Frühstück mit Kaffee, Brot, Hafergrütze und geschmorten Kirschen, wofür der Mann ihm nur fünfzehn Cent abnahm, vielleicht weil seine Argumente ihn beeindruckt hatten. Danach verabschiedete sich Jurgis und machte sich wieder auf den Weg.
     
    So begann sein Leben als »Tramp«. Nur selten fand er so gute Aufnahme wie auf der letzten Farm, und mit der Zeit lernte er, die Häuser zu meiden und lieber im Freien zu übernachten. Wenn es regnete, suchte er sich eine verlassene Hütte, und fand er keine, wartete er die Dunkelheit ab und schlich dann, seinen Knüppel in der Hand, auf eine Scheune zu. Meist gelang es ihm, hineinzukommen, ehe der Hofhund ihn witterte, und dann verkroch er sich im Heu und war dort bis zum Morgen in Sicherheit; hatte er Pech und stellte ihn der Hund, trat er einen geordneten Rückzug an. Wenn Jurgis auch nicht mehr so bärenstark war wie früher, in seinen Armen steckte noch viel Kraft, und es kam selten vor, daß ein Hund nicht nach dem ersten Hieb genug hatte.
    Die Himbeeren wurden reif, anschließend auch die Brombeeren, und das half ihm Geld sparen; außerdem gab es Äpfel in den Obstplantagen und Kartoffeln auf den Feldern – er merkte sich die Stellen, und nach dem Dunkelwerden füllte er sich die Taschen. Zweimal konnte er sogar ein Huhn fangen und sich eine Schlemmermahlzeit bereiten, das eine Mal in einer aufgegebenen Scheune, das andere Mal an einem einsamen Bachufer. Wenn es gar nicht anders ging, griff er sein Geld an, vorsichtig zwar, doch ohne Sorge, denn er wußte ja, daß er sich jederzeit wieder etwas verdienen konnte. So wie er zupackte, brachte ihm schon eine halbe Stunde Holzhacken ein Essen ein, und so mancher Farmer, der ihn arbeiten sah, versuchte ihn zum Bleiben zu verlocken.
    Aber Jurgis blieb nirgends. Er war jetzt ein freier Mensch, von niemandem abhängig, niemandem Rechenschaft schuldig, konnte nach Lust und Laune umherziehen. Die Wanderlust hatte ihn gepackt, die Freude am ungebundenen Leben, am Suchen und grenzenlosen Hoffen. Gewiß, manchmal ging etwas schief, und bequem war es wahrlich nicht immer – aber er erlebte wenigstens ständig etwas Neues. Man muß sich einmal vorstellen, was es für

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