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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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stand Getreide auf dem Halm, für das Menschen sich drei oder vier Monate abgemüht hatten und das sie nun fast alles verlieren würden, wenn sie nicht für ein, zwei Wochen fremde Hilfe fanden. So erschallte im ganzen Land ein Ruf nach Erntehelfern – Vermittlungsbüros wurden eingerichtet, Männer aus den Großstädten angeworben, ja selbst College-Boys waggonweise herbeigeholt, und Horden von Farmern, die wie von Sinnen waren, hielten die Züge an und verschleppten ganze Wagenladungen von Leuten zur Arbeit. Sic zahlten gar nicht schlecht, nämlich zwei Dollar pro Tag, und das bei freier Unterbringung und Verpflegung; wer besonders tüchtig war, konnte es auf zweieinhalb bis drei Dollar bringen.
    Das Erntefieber lag regelrecht in der Luft, und wer noch nicht total verkalkt war, konnte hier nicht sein, ohne davon angesteckt zu werden. Jurgis schloß sich einem Trupp an und arbeitete zwei Wochen lang von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, achtzehn Stunden am Tag. Dann hatte er eine Summe zusammen, die in den alten Elendszeiten ein Vermögen für ihn bedeutet hätte – aber was sollte er jetzt damit anfangen? Gewiß, er hätte das Geld auf eine Bank bringen und es, wenn er Glück hatte, auch wiederbekommen können, wann immer er wollte. Doch Jurgis war jetzt ein Heimatloser, der durch einen ganzen Kontinent zog, und was verstand er schon von Habenzinsen, Wechseln und Kreditbriefen? Trug er das Geld mit sich herum, würde es ihm eines Tages doch bloß gestohlen; was sollte er also weiter machen, als es sich damit gutgehen zu lassen, solange er konnte? An einem Samstagabend zog er mit den anderen in die nächste Ortschaft, und da es regnete und er sich sonst nirgends anders aufhalten konnte, ging er in eine Kneipe. Dort waren Männer, die einen ausgaben, woraufhin er sich natürlich revanchieren mußte. Man lachte und sang, es herrschte fidele Stimmung, und dann lächelte ihn vom hinteren Teil der Gaststube her ein Mädchen an, rotwangig und fröhlich, und plötzlich schlug ihm das Herz bis zum Hals. Er nickte ihr zu, und sie kam und setzte sich zu ihm; sie tranken noch mehr, dann ging er mit ihr nach oben in ein Zimmer, und in ihm erwachte das wilde Tier und brüllte, wie es schon zu Anbeginn der Zeit im Urwald gebrüllt hatte. Da Erinnerungen in ihm aufkamen und er sich schämte, war er froh, als andere, Männer und Frauen, sich zu ihnen gesellten; und sie tranken weiter und verbrachten die Nacht in wilder Ausgelassenheit und Ausschweifung. Die Vorhut der Reservearmee bildete nämlich ein weiteres Heer: ein Heer von Frauen, die gleichfalls nach dem unerbittlichen Gesetz der Natur um ihr Leben kämpften. Weil es reiche Männer gab, die ihr Vergnügen suchten, hatten sie, solange sie jung und hübsch waren, gut, ja üppig gelebt, aber später waren sie dann von Jüngeren und Hübscheren verdrängt worden, und so zogen sie nun mit den Wanderarbeitern mit. Manchmal kamen sie auf eigene Faust, und die Wirte gaben ihnen Prozente, manchmal wurden sie auch von Agenturen vermittelt, genauso wie die Arbeiter. Zur Erntezeit waren sie in den Kleinstädten, und im Winter hielten sie sich in der Umgebung der Holzfäller-Camps auf oder reisten in die Großstädte, um da zu sein, wenn der Strom der Männer kam; ob ein Regiment zum Manöver ins Feldquartier ging, ob irgendwo eine Bahnlinie oder ein Kanal gebaut oder eine große Ausstellung vorbereitet wurde – das Heer der Animier- und Freudenmädchen war immer zur Stelle. Sie hausten in Baracken, Kneipen oder Untermietzimmern, zuweilen zu acht bis zehnt in einem Raum.
    Am Morgen hatte Jurgis keinen Cent mehr, und er ging wieder auf die Walze. Er fühlte sich elend und angewidert, aber nach seiner neuen Lebenseinstellung unterdrückte er seine Empfindungen: Er habe sich zwar schändlich ausnehmen lassen, doch das sei jetzt nicht mehr zu ändern – er könne nur aufpassen, daß ihm das nicht wieder passiert. Und er wanderte weiter, bis die Bewegung und die frische Luft das Kopfweh vertrieben und seine Kraft und gute Laune zurückkehrten. So war das jedesmal bei ihm, denn er ließ sich noch von Impulsen lenken, gab sich seinen Vergnügungen noch nicht bloß routinemäßig hin. Es würde lange dauern, bis er der Mehrheit dieser Landstreicher glich, die so lange herumstromerten, bis das Verlangen nach Alkohol und Frauen sie übermannte und sie dann mit einem bestimmten Ziel vor Augen zu arbeiten anfingen und gleich wieder aufhörten, sobald sie das Geld für eine wüste Nacht zusammen

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