Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
Vom Netzwerk:
italienischen Grafen mit ellenlangem Titel und dito Duellierrekord verheiratet war. Sie wohnten in seinem Palazzo beziehungsweise hatten dort gewohnt, bis er angefangen hatte, die Frühstücksteller nach ihr zu werfen; da hatte sie um Hilfe telegraphiert, und der Alte war nun rübergefahren, um mit Seiner Erlaucht die Scheidung auszuhandeln. So hatten sie Freddie mutterseelenallein gelassen, und das mit weniger als zweitausend Dollar in der Tasche! Nein, so lasse er sich nicht behandeln, erklärte er – das werde er ihnen schon zeigen, jawohl! Wenn nicht anders, wolle er seine Kitty telegraphieren lassen, daß sie im Begriff sei, ihn zu heiraten. Dann würde man ja sehen ...
    So plauderte der junge Mann weiter, bis die Müdigkeit ihn übermannte. Nachdem er Jurgis noch einmal ganz liebenswürdig angelächelt hatte, fielen ihm die Augen zu. Nach einem Weilchen schlug er sie wieder auf, lächelte abermals, schloß sie dann erneut und vergaß, sie wieder zu öffnen.
     
    Etliche Minuten verharrte Jurgis völlig reglos, beobachtete ihn und genoß den ungewohnten Champagnerrausch. Einmal bewegte er sich, und sofort knurrte der Hund; danach saß er mit fast angehaltenem Atem da – bis nach einer Weile die Tür aufging und der Butler hereinkam.
    Auf Zehenspitzen näherte er sich Jurgis und blickte ihn finster an. Jurgis erhob sich, und mit nicht minder finsterer Miene wich er zurück. Als er schließlich an der Wand stand, trat der Butler dicht an ihn heran und zeigte auf die Tür. »Raus!« flüsterte er.
    Jurgis zögerte und warf einen Blick auf Freddie, der leise schnarchte.
    »Wenn du das wagst, du dreckige Laus«, zischte der Butler, »schlag ich dir das Gesicht zu Brei, ehe du hier wieder rauskommst!«
    Jurgis blieb noch einen Augenblick unschlüssig. Dann sah er »Admiral Dewey« hinter dem Mann herankommen und leise knurren, um dessen Drohung Nachdruck zu verleihen. Da gab er auf und lief zur Tür.
    Lautlos gingen sie hinaus, die große, hallende Treppe hinunter, durch die dunkle Eingangshalle. An der Haustür blieb Jurgis stehen, und der Butler baute sich vor ihm auf.
    »Nimm die Hände hoch!« befahl er.
    Jurgis trat einen Schritt zurück und ballte seine gesunde Faust. »Wozu?« fragte er. Und als ihm klar wurde, daß der Kerl ihn durchsuchen wollte, rief er: »Eher schick ich dich zur Hölle!«
    »Willst du verhaftet werden?« gab der Butler drohend zurück. »Ich ruf die Polizei ...«
    »Tu’s doch!« brüllte Jurgis in wildem Zorn. »Aber bis sie hier ist, läßt du deine Hände von mir! Ich habe in euerm verdammten Haus nichts angerührt, und du rührst mich nicht an!«
    Da trat der Butler, der befürchtete, sein junger Herr könnte aufwachen, plötzlich zur Tür und öffnete sie, »Raus!« sagte er, und als Jurgis hinausging, versetzte er ihm einen Fußtritt, der ihn die breite Freitreppe hinunterstolpern und der Länge nach im Schnee landen ließ.

25
    Außer sich vor Wut, erhob sich Jurgis, aber die Tür war bereits wieder zu; dunkel und so unbezwinglich wie eine Festung lag das große Haus da. Dann fiel ihn der eisige Wind an, und er drehte sich um und rannte davon.
    Er verlangsamte seine Schritte erst wieder, als er in belebtere Straßen kam, denn er wollte nicht auffallen. Trotz der Demütigung, die er hatte hinnehmen müssen, schlug ihm das Herz höher vor Siegerstolz: Er war doch der Gewinner geblieben! Immer wieder schob er die Hand in die Hosentasche, um sich zu vergewissern, daß der kostbare Hundert-Dollar-Schein noch da war.
    Dennoch befand er sich in einer mißlichen Lage – in einer vertrackten, ja scheußlichen Lage, wenn er es recht bedachte. Außer dieser einen Banknote besaß er keinen einzigen Cent! Er mußte sich für die Nacht doch ein Quartier nehmen, das heißt, er mußte den Schein wechseln!
    Eine halbe Stunde lang lief Jurgis umher und überlegte, wie sich das am besten bewerkstelligen ließe. Er hatte niemanden, den er bitten konnte, das Wechseln für ihn zu erledigen – er mußte es schon allein machen. Es in einem Logierhaus tun hieße sich in Lebensgefahr begeben; mit Sicherheit würde er im Schlaf beraubt und vielleicht gar ermordet werden. Er konnte in ein Hotel oder zu einem Bahnhof gehen und darum bitten, daß man ihm den Schein wechseln möge – aber was würden die dort denken, wenn sie einen Penner wie ihn mit hundert Dollar sahen? Wahrscheinlich ließen sie ihn festnehmen, und was sollte er dann erzählen? Morgen früh bemerkte Freddie Jones den Verlust, und man

Weitere Kostenlose Bücher