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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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das ganze Jahr über unterhalten werden. Seine Führer und Organisatoren erhielten ihren Sold von den Geschäftsleuten direkt: Stadträte und Abgeordnete mittels Bestechungsgeldern, Parteifunktionäre aus dem Wahlkampf-Fonds, Lobbyisten und Firmenjustitiare in Form von festen Gehältern, Gewerbeunternehmer und Zwischenhändler durch Aufträge und Kontrakte, Gewerkschafts-Bosse durch Subsidien und Zeitungsverleger durch Werbeanzeigen. Das Fußvolk aber wurde entweder dem Stadtsäckel aufgebürdet oder schmarotzte unmittelbar von der Bevölkerung. Da waren die Polizei, die Feuerwehr und die Wasserwerke sowie die ganze lange Liste der städtischen Angestellten, von den Büroboten bis hinauf zu den Amtsvorstehern. Und für den Haufen, der dort nicht unterkam beziehungsweise da nicht hineinpaßte, blieb die Welt des Lasters und Verbrechens, denn für Verführung, Nepp, Betrug, Raub und Diebstahl ließen sich Konzessionen erwerben. Das Gesetz untersagte den Alkoholausschank am Sonntag, also waren die Kneipiers den Polizisten völlig ausgeliefert, und das hatte ein Bündnis zwischen ihnen notwendig gemacht. Prostitution war verboten, und so hatten sich dem auch die Bordellwirtinnen anschießen müssen. Ähnlich war es mit den Inhabern von Spielhöllen und Wettbüros, wie überhaupt mit allen, die irgendein dunkles Gewerbe betrieben und bereit waren, dafür »Abgaben« zu entrichten: den Blütendruckern, den Taschendieben, Straßenräubern und Einbrechern, den Hehlern, den Verkäufern von gepanschter Milch, angefaultem Obst und nicht freigegebenem Fleisch, den Besitzern von unsanitären Mietshäusern, den Quacksalbern, den Wucherern, den Bettlern und Hökern, den Boxern und berufsmäßigen Schlägern, den Tipgebern auf der Rennbahn, den Zuhältern, Mädchenhändlern und Verführern von Minderjährigen. Sie alle waren organisiert und in Blutsbrüderschaft mit den Politikern und der Polizei vereint, nicht selten sogar in Personalunion: Dem Polizei-Captain gehörte das Bordell, in dem er zum Schein Razzien durchführen ließ, und der Kommunalpolitiker schlug sein Hauptquartier in seiner eigenen Kneipe auf. »Hinkydink«, »Sauna-John« und andere ihres Kalibers waren die Besitzer der berüchtigsten Spelunken Chicagos und außerdem die »grauen Eminenzen« im Magistrat, die die Straßen der Stadt an die Geschäftsleute verschacherten; ihre Kundschaft bildeten die Glücksspieler und Preisboxer, die sich den Teufel um Gesetze und Verbote scherten, sowie die Einbrecher und Straßenräuber, die die ganze Stadt terrorisierten. Bei Wahlen stellten all diese Mächte des Lasters und Verbrechens eine einzige Großmacht dar; sie konnten bis auf ein Prozent genau sagen, wie in ihrem Bezirk die Abstimmung ausfallen werde – und diese auch innerhalb einer Stunde ändern.
    Vor einem Monat noch war Jurgis fast auf der Straße verhungert, jetzt aber hatte sich ihm wie durch einen Zauberschlüssel plötzlich eine Welt geöffnet, in der ihm Geld und alle guten Dinge des Lebens nur so zuflossen. Er wurde von seinem Freund mit einem Iren namens »Buck« Halloran bekannt gemacht, der als politischer Handlanger arbeitete und sich hinter den Kulissen auskannte. Dieser Mann unterhielt sich eine Weile mit Jurgis und sagte dann, er habe für jemanden, der aussieht wie ein Arbeiter, eine Möglichkeit, ein paar leichte Dollars zu machen, doch sei die Sache streng vertraulich, und Jurgis müsse unbedingt Stillschweigen bewahren. Der erklärte sich dazu bereit, und der andere nahm ihn noch am selben Nachmittag zu einem Bauplatz mit, wo – es war Samstag – städtische Arbeiter ausgezahlt wurden. Der Lohnbuchhalter saß in einer kleinen Bude, hatte vor sich einen Stoß Tüten mit Geld, und neben ihm standen zwei Polizisten. Wie vorher geheißen, ging Jurgis zu ihm hin, gab den Namen »Michael O’Flaherty« an, erhielt eine Tüte, verschwand damit um die Ecke und lieferte sie dem in einer Kneipe auf ihn wartenden Halloran ab. Dann ging er noch einmal hin, meldete sich als »Johann Schmidt« und ein drittes Mal als »Sergei Reminitzky«. Halloran hatte eine ganze Liste imaginärer Arbeiter, und für jeden bekam Jurgis eine Lohntüte. Die Sache brachte ihm fünf Dollar ein und die Zusage, daß er sich das jede Woche verdienen könne, solange er den Mund hält. Und da Jurgis eben das gut verstand, gewann er in kurzer Zeit das Vertrauen Buck Hallorans und wurde von ihm als verläßlich weiterempfohlen.
    Diese Bekanntschaft nützte ihm auch noch in anderer

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