Der Dschungel
jemand, der in den Yards, wo Scully das Sagen hat, Republikaner ist, ja auch nicht sein. Sie verständen einfach keinen Wahlkampf zu führen, und daß die demokratischen Parteihelfer, die edlen Rothäute der War Whoop League, die Republikaner offen unterstützen, ginge natürlich nicht an, doch würden sich da schon Mittel und Wege finden lassen. Wirklich schlimm sei dagegen etwas anderes. Seit ein, zwei Jahren nehme die Politik in den Yards eine merkwürdige Entwicklung: Es sei eine neue Partei aufgetaucht, nämlich die Sozialisten. Und die – Harper seufzte auf – würden einem verdammt zu schaffen machen. Jurgis verband mit dem Wort »Sozialist« lediglich den Gedanken an den armen kleinen Tamoszius Kuszleika, der sich als ein solcher bezeichnet hatte und Samstagabends mit ein paar Gleichgesinnten und einer Seifenkiste losgezogen war, um sich an einer Straßenecke heiser zu schreien. Tamoszius war bemüht gewesen, ihm darzulegen, worum es ihnen gehe, aber Jurgis, der nicht viel Vorstellungskraft besaß, hatte es nie recht begriffen. Im Augenblick gab er sich mit der Erklärung Harpers zufrieden, daß die »Sozis« allem amerikanischen Usus feind seien – sich nicht kaufen ließen, nicht mit anderen gemeinsame Sache machten, ja zu überhaupt keinerlei Manipulationen bereit wären. Mike Scully sei sehr besorgt wegen der Chance, die ihnen sein jüngster Kuhhandel mit den Republikanern bietet – die Demokraten in den Yards wären außer sich darüber, daß ihnen als Kandidat ein reicher Kapitalist aufgestellt worden ist, und wenn sie sich beim Wählen schon mal für eine andere Partei entscheiden, könnten sie dabei womöglich zu dem Schluß kommen, ein sozialistischer Feuerkopf sei immer noch besser als ein republikanischer Strohkopf. Und eben hier, meinte Harper, biete sich Jurgis die Möglichkeit, sich eine Position aufzubauen. Er sei doch Gewerkschaftler gewesen, und man kenne ihn in den Yards als Arbeiter; sicher habe er dort Hunderte von Bekannten, und da er nie mit ihnen über Politik gesprochen hat, könne er jetzt, ohne den geringsten Verdacht zu erregen, als Republikaner auftreten. Für Leute, die solche Aufgaben erfüllen, stehe ein Haufen Geld zur Verfügung, und auf Mike Scully wäre hundertprozentig zu zählen, der habe noch nie einen Freund im Stich gelassen. Einigermaßen verwirrt fragte Jurgis, was er denn dabei tun könne, und Harper erklärte ihm das im einzelnen. Zuerst einmal müsse er wieder in den Yards arbeiten. Davon werde er vielleicht nicht sehr begeistert sein, aber schließlich sei ja auch der Lohn dort mitzunehmen, zusätzlich zu dem, was er für das andere bekommt. Ferner habe er wieder in der Gewerkschaft aktiv zu werden und sich nach Möglichkeit auf einen Posten wählen zu lassen, so wie er, Harper, das auch getan hat. Er müsse bei all seinen Freunden die guten Seiten von Doyle, dem republikanischen Kandidaten, herausstreichen und den Itzig schlechtmachen. Scully sorge für einen Versammlungssaal, und sie würden dann einen »Republikanischen Verein Junger Männer« oder so was in der Art gründen, wozu sie Fässer vom besten Bier des reichen Brauers kriegen, desgleichen Feuerwerk und Ansprachen, genau wie bei der War Whoop League. Bestimmt kenne er massenhaft Leute, die auf solche Vergnügungen fliegen; außerdem würden ihm die regulären republikanischen Parteifunktionäre und Helfer unter die Arme greifen, so daß sie am Wahltag schon eine hinreichende Mehrheit zusammenbringen können.
Nachdem er sich das alles angehört hatte, fragte Jurgis: »Aber wie soll ich denn in Packingtown Arbeit finden? Ich stehe doch auf der schwarzen Liste.«
Worauf Bush Harper lachte. »Das laß nur meine Sorge sein.«
Und da erklärte Jurgis dann: »Also gut, ich bin euer Mann.«
Er fuhr wieder zu den Yards hinaus und wurde dort dem politischen Boss von Packingtown vorgestellt, dem Mann, nach dessen Pfeife sogar der Bürgermeister tanzte. Scully war schuld an der ungepflasterten Straße, in der Jurgis’ Kind ertrunken war; Scully hatte dem Richter zu seinem Amt verholfen, von dem Jurgis das erste Mal ins Gefängnis geschickt worden war; Scully besaß die Aktienmehrheit der Gesellschaft, die Jurgis das baufällige Haus verkauft und dann wieder weggenommen hatte. Doch all das wußte Jurgis nicht – und schon gar nicht, daß auch Scully nur als Werkzeug und Marionette der Fabrikanten fungierte. Für ihn war er einer von den »Großen«, der mächtigste Mann, den er je im Leben kennengelernt
Weitere Kostenlose Bücher