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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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der Waggon dann geöffnet wurde, waren von ihm bloß noch die Knochen übrig. Wurden nicht sämtliche Schweine aus diesem Wagen gleich geschlachtet, erlagen auch sie bald dieser gefürchteten Seuche, und dann ließen sie sich bloß noch zu Schmalz verarbeiten. Ähnlich war es mit jenen Rindern, die bereits am Verenden waren, weil Artgenossen ihnen die Hörner in die Flanken gespießt hatten, oder die mit offenen, die Knochen zeigenden Beinbrüchen einherhinkten – sie hatten sofort geschlachtet zu werden, und wenn Makler, Einkäufer, ja selbst Direktoren den Rock ausziehen und mithelfen mußten, sie in die Tötefallen zu treiben, sie zu betäuben, abzustechen, zu entbluten, auszunehmen, zu enthäuten und zu zerteilen. Und inzwischen waren Anwerber der Fabrikanten in den ländlichen Gebieten der Südstaaten rührig und stellten Arbeitskolonnen von Negern zusammen; sie versprachen ihnen fünf Dollar den Tag und obendrein freie Verpflegung und Unterbringung, wobei sie sich geflissentlich hüteten, etwas von einem Streik verlauten zu lassen. Schon waren von solchen Schwarzen ganze Züge voll unterwegs, die die Eisenbahngesellschaften zu Sondertarifen zur Verfügung gestellt hatten und denen sie überall Vorfahrt gewährten. Nicht wenige Gemeinden, große wie kleine, nutzten die Gelegenheit, um ihre Gefängnisse und Arbeitshäuser leer zu bekommen – in Detroit ließen die Friedensrichter jeden Festgenommenen wieder frei, der sich bereit erklärte, die Stadt binnen vierundzwanzig Stunden zu verlassen, und in den Gerichtssälen warteten schon Werber der Fabrikanten, um sie gleich nach Chicago zu verfrachten. Unterdessen wurden für die Streikbrecher ganze Berge von Verpflegung angeliefert, ebenso auch Bier und Whiskey, damit sie nicht in Versuchung gerieten, das Yard-Gelände zu verlassen. In Cincinnati waren dreißig junge Mädchen angeworben worden zum »Abfüllen von Obstkonserven« – die sich in Chicago dann als Corned-Beef-Büchsen herausstellten; außerdem standen die Betten dieser Mädchen in einem Flur, durch den die Männer gingen. Da Tag und Nacht neue Kolonnen eintrafen, sämtlich unter Polizeischutz, brachte man sie in unbenutzten Arbeits- und Lagerräumen sowie in Wagenschuppen unter, wo sie so beengt hausten, daß ein Bett ans andere stieß. Manchmal hatten sie zum Schlafen und Essen ein und denselben Raum, und da stellten die Männer dann nachts ihre Feldbetten auf die Tische, um sich die Rattenschwärme vom Leibe zu halten.
    Doch trotz allem wurden die Fabrikanten allmählich mürbe. Da neunzig Prozent ihrer Leute in den Ausstand getreten waren, drohte ihnen, sich völlig neue Belegschaften aufbauen zu müssen – und inzwischen war der Preis für Fleisch um dreißig Prozent gestiegen und verlangte die Öffentlichkeit immer lauter nach einer Einigung. So boten die Fabrikanten dann an, die ganze Angelegenheit vor einen Schlichtungsausschuß zu bringen. Nach zehn Tagen gingen die Gewerkschaften darauf ein, und der Streik wurde ausgesetzt. Man kam überein, daß innerhalb von fünfundvierzig Tagen sämtliche Arbeiter wieder einzustellen seien, und zwar »ohne jedwede Benachteiligung von Gewerkschaftsangehörigen«.
    Für Jurgis war das eine sorgenvolle Zeit. Würden auch die Gewerkschaftler wieder genommen, dann verlor er seinen jetzigen Posten. Er suchte den Abteilungsleiter auf, und der riet ihm mit grimmigem Lächeln, »doch erst mal abzuwarten«; bei Durham würde wohl kaum ein Streikbrecher gehen müssen.
    Ob das mit der »Schlichtung» lediglich ein Trick der Fabrikanten war, um Zeit zu gewinnen, oder ob sie wirklich hofften, auf diese Weise den Streik endgültig abwürgen und die Gewerkschaften lähmen zu können, läßt sich schwer sagen; doch ging in jener Nacht von der Durham-Direktion ein Telegramm an alle großen Fleischindustriezentren: »Keine Gewerkschaftsfunktionäre einstellen.« Als am nächsten Morgen dann zwanzigtausend Leute in die Yards drängten, in Arbeitskleidung und mit Essenbüchsen, stand Jurgis unweit des Eingangs zur Schweine-Ausschlachthalle, wo er vor dem Streik gearbeitet hatte, und sah eine große Schar von Arbeitswilligen vor der Tür warten, bewacht von dreißig, vierzig Polizisten. Dann kam ein Meister heraus, ging die Reihe entlang und suchte sich die ihm zusagenden Leute aus. Weitere Meister und Aufseher taten es ihm nach. Ein paar Männer, die ziemlich weit vorn in der Reihe standen, wurden jedoch von keinem geholt – das waren die Gewerkschaftsführer und -obleute

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