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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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mußten. Und als das Geschrei der Öffentlichkeit zu einer Untersuchung dieser haarsträubenden Zustände führte und der Bürgermeister sich gezwungen sah, auf Einhaltung der Vorschriften zu dringen, bekamen die Fabrikanten einen Richter dazu, daß er eine einstweilige Verfügung erließ, die ihm jegliches Eingreifen verbot!
    Gerade zu dieser Zeit brüstete sich der Bürgermeister damit, dem Glücksspiel und der Preisboxerei in der Stadt ein Ende gemacht zu haben. Hier jedoch hatte sich eine Horde professioneller Spieler mit der Polizei zusammengetan, um die Streikbrecher zu rupfen; und jeden Abend konnte man auf dem großen freien Platz vor Brown sehen, wie muskulöse Neger mit nacktem Oberkörper für Geld aufeinander losdroschen, während an die drei- bis viertausend Zuschauer – Frauen ebenso wie Männer, junge weiße Mädchen vom Lande Seite an Seite mit stämmigen Negern mit Messern in den Stiefeln – sie johlend umringten und aus jedem Fenster der umliegenden Fabriken ganze Reihen von Wollköpfen herunterschauten. Die Vorfahren dieser Schwarzen waren Wilde in Afrika und ihre Eltern Leibeigene hier in Amerika gewesen, und sie selbst hatten bislang in einer noch von den Traditionen der Sklaverei beherrschten Gesellschaft gelebt, die sie immer nur niederhielt. Jetzt waren sie zum ersten Mal frei – frei, jeder Leidenschaft zu frönen, frei, sich zugrunde zu richten. Man brauchte sie, um einen Streik zu brechen, und war das geschafft, schickte man sie fort, und ihre jetzigen Herren sahen sie nie wieder; und so brachte man waggonweise Whiskey und Weiber heran und verkaufte sie ihnen. Folglich war in den Yards die Hölle los. Jede Nacht kam es zu Messerstechereien und fielen Schüsse; es wurde gemunkelt, die Fabrikanten hätten Blankogenehmigung, Tote aus der Stadt scharfen zu lassen, ohne die Behörden damit zu behelligen. Sie brachten Männer und Frauen im selben Stockwerk unter, und nachts kam es zu wahren Orgien der Ausschweifung – zu Szenen, wie sie Amerika noch nicht erlebt hatte. Und da es sich bei den Frauen um den Bodensatz der Bordelle Chicagos handelte und bei den Männern größtenteils um unwissende Neger vom Lande, grassierten schon bald die unaussprechlichen Krankheiten des Lasters, und das hier, wo Lebensmittel produziert wurden, die dann in alle Teile der Welt gingen!
    Die »Union Stockyards« hatten sich noch nie als angenehmer Ort präsentiert, jetzt aber waren sie nicht bloß eine Anhäufung von Schlachthäusern, sondern auch noch das Biwak eines Heeres von fünfzehn- bis zwanzigtausend menschlichen Bestien. Den ganzen Tag lang brannte die sengende Hochsommersonne auf diese Quadratmeile voller Scheußlichkeit nieder: auf Zehntausende Rinder, die in Buchten gepfercht waren, deren Holzböden stanken und Seuchen ausdünsteten, auf kahle, glühendheiße, schlackebestreute Bahngleise und riesige Komplexe schmutziggrauer Fleischfabriken, in deren labyrinthartige Gänge kein frischer Lufthauch zu dringen vermochte. Stank es sonst schon infernalisch genug von den Strömen warmen Bluts und den Wagenladungen feuchten Fleisches, von den Schmalzereien, Seifensiedereien, Leimkochereien und Düngermühlen, so kamen jetzt noch ganze Berge von Abfällen hinzu, die in der Sonne vor sich hin faulten, sowie die zum Trocknen aufgehängte fettdurchtränkte Wäsche der Arbeiter, Speiseräume mit stehengebliebenem Essen, auf dem sich Schwärme von Fliegen tummelten, und Toiletten, die offene Kloaken waren.
    Und abends ergossen sich diese Massen von Menschen hinaus auf die Straßen der Yards, um es sich vergnügt zu machen, das heißt um zu raufen, zu spielen und zu zechen, zu fluchen und zu schreien, zu lachen, zu singen und zu Banjomusik zu tanzen! Alle sieben Tage der Woche mußten sie in den Yards schuften, und so verzichteten sie selbst am heiligen Sonntag nicht auf ihre abendlichen Würfelspiele und Boxkämpfe, doch konnte man dann um die Ecke ein offenes Feuer brennen sehen mit davor einer alten Negerin, dürr wie eine Hexe, mit wirren grauen Haaren und funkelnden Augen, die kreischend von den Qualen der Hölle und vom Blut des »Lammes« sang, während Männer und Frauen sich zu Boden warfen und, von Reue und Angst gepackt, stöhnten und schrien.
    So sah es in den Yards zur Zeit des Streiks aus, derweil die Gewerkschaften in dumpfer Verzweiflung zusehen mußten, das Land wie ein gieriges Kind nach Nahrung schrie und die Fabrikanten ungerührt ihren Kurs weitersteuerten. Jeden Tag holten sie neue Arbeiter

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