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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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hinauszugehen und ein bißchen was zu trinken. Sie waren einverstanden, und so schritten sie durch das große Tor in der Halsted Street, wo mehrere Polizisten Wache standen und ebenso ein paar Streikposten von der Gewerkschaft, die genau aufpaßten, wer hinein- und hinausging. Jurgis und seine Gefährten liefen die Halsted Street hinunter, und als sie am Hotel vorbei waren, kamen auf einmal etwa sechs Arbeiter quer über die Straße auf sie zu und fingen an, ihnen ihr falsches Verhalten klarzumachen. Als ihre Argumente nicht auf die richtige Einsicht stießen, gingen sie zu Drohungen über, und plötzlich riß einer von ihnen einem der vier den Hut vom Kopf und warf ihn über den Zaun. Der Mann setzte seiner Kopfbedeckung nach, und als dann der Ruf »Streikbrecher!« ertönte und ein Dutzend Leute aus Kneipen und Torwegen herbeigerannt kam, verließ einen zweiten Mann der Mut, und er folgte dem ersten. Jurgis und der vierte blieben gerade noch so lange, daß sie sich die Genugtuung eines raschen Schlagabtauschs verschaffen konnten, und dann gaben auch sie Fersengeld und flüchteten hinter das Hotel und von dort aus zurück in die Yards. Unterdessen kam natürlich Polizei im Laufschritt herbei, und als das einen Auflauf zur Folge hatte, wurden weitere Polizisten nervös und forderten ein Überfallkommando an. Jurgis kriegte das gar nicht mehr mit, denn er war inzwischen bereits in der Packers’ Avenue, und als er an der Zeitkontrolle anlangte, traf er dort auf einen seiner Gefährten, der ganz aufgelöst und außer Atem einer ständig wachsenden Menschenmenge erzählte, wie die vier von einem brüllenden Pöbelhaufen angegriffen, umzingelt und beinahe in Stücke gerissen worden seien. Während Jurgis mit spöttischem Lächeln zuhörte, standen mehrere alerte junge Männer mit Notizbüchern in den Händen daneben, und keine zwei Stunden später sah er Zeitungsjungen mit Packen druckfrischer Extrablätter umherlaufen, deren über Zoll hohe schwarze und rote Schlagzeilen verkündeten: » G EWALT IN DEN Y ARDS ! S TREIKBRECHER VON WÜTENDEM M OB BEDRÄNGT !«
    Wäre er in der Lage gewesen, sich am nächsten Tag sämtliche Zeitungen der Vereinigten Staaten zu besorgen, hätte er entdecken können, daß seine heldenhafte Jagd nach Bier rund vierzig Millionen Lesern als Morgenlektüre serviert wurde und daß sie in der Hälfte aller seriösen Wirtschaftsblätter des Landes das Thema des Leitartikels bildete.
    Im Laufe der Zeit sollte Jurgis noch mehr dergleichen erleben. Im Augenblick stand es ihm nach Feierabend frei, in die City zu fahren, und zwar mit einer direkt von den Yards dort hinführenden Bahn, oder aber dazubleiben und in einem Saal zu schlafen, wo man Reihen von Feldbetten aufgestellt hatte. Er entschied sich für letzteres, bereute das aber bald, denn die ganze Nacht hindurch kamen in einem fort neue Schübe von Streikbrechern an. Da sich von anständigen Arbeitern nur sehr wenige für so etwas gewinnen ließen, rekrutierten sich diese neuen »Helden Amerikas« aus den übelsten Rowdies und Unterweltlern der Stadt sowie aus Negern und allerelendsten Ausländern wie Griechen, Rumänen, Sizilianern und Slowaken. Mehr als die hohen Löhne hatte sie die Aussicht auf Krawall angelockt; bei ihrem Grölen und Zechen war an Nachtruhe nicht zu denken, und sie legten sich erst schlafen, als sie eigentlich schon hätten aufstehen und an die Arbeit gehen müssen.
    Noch ehe er am nächsten Morgen gefrühstückt hatte, wurde Jurgis von Pat Murphy zu einem der Abteilungsleiter geschickt, der dann von ihm wissen wollte, wieweit er mit der Arbeit an den Rinderschlachtbändern vertraut sei. Jurgis begann vor Aufregung das Herz zu klopfen, denn er ahnte sofort, daß seine Chance gekommen war – daß er Vorarbeiter werden sollte!
    Einige der Meister und Vorarbeiter waren in der Gewerkschaft, und auch von denen, die keine Mitgliedskarte hatten, streikten viele mit. Am schlimmsten aufgeschmissen waren die Fabrikanten in den Schlachtabteilungen, und gerade hier konnten sie sich es am wenigsten leisten; das Räuchern, Konservieren und Pökeln hatte Zeit, und all die Nebenprodukte waren nicht so wichtig – Frischfleisch aber mußte her, sonst spürten die Restaurants, Hotels und herrschaftlichen Häuser den Engpaß, und dann würde die »öffentliche Meinung« sehr rasch umschlagen.
    Solch eine Gelegenheit bekam man nicht zweimal geboten, und Jurgis ergriff sie. Ja, sagte er, mit der Arbeit dort kenne er sich aus, samt allem, was

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