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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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dazugehört, und er könne auch andere anlernen. Aber wenn er die Stellung annimmt und seine Arbeit zur Zufriedenheit macht, dann erwarte er, sie auch behalten zu dürfen und nicht nach Ende des Streiks entlassen zu werden. Der Abteilungsleiter versicherte ihm, da könne er sich getrost auf Durham & Co. verlassen – man wolle diesen Gewerkschaften eine Lektion erteilen, und ganz besonders jenen Vorarbeitern, die die Firma im Stich gelassen haben. Während des Streiks bekomme er fünf Dollar den Tag und hinterher fünfundzwanzig die Woche.
    Unser Freund erhielt also ein Paar Metzgerstiefel sowie »Jeans« und stürzte sich in seine Aufgabe. Sie nahmen sich grotesk aus, die Männer am Schlachtband: ein Haufen stupider Schwarzer und Ausländer, die kein Wort von dem verstanden, was man ihnen sagte, und dazwischen bleichgesichtige Büroangestellte, halb ohnmächtig von der tropischen Hitze und dem Übelkeit erregenden Geruch des frischen Blutes – und alle mühten sich krampfhaft ab, ein, zwei Dutzend Rinder zu zerlegen, hier, wo noch gestern vormittag die alte Schlachtmannschaft mit bewundernswerter Geschwindigkeit und Präzision pro Stunde vierhundert Stück Vieh geschafft hatte.
    Die Neger und die Schläger vom Levee hatten keine Lust zu arbeiten, und alle paar Minuten verschwanden welche von ihnen zu einer Verschnaufpause. Binnen weniger Tage schafften Durham & Co. elektrische Ventilatoren zur Raumkühlung und sogar Ruhebetten für sie an, und inzwischen durften sie hinausgehen, sich eine schattige Ecke suchen und ein Nickerchen halten, und da niemand seinen festen Platz hatte und auch jegliches System fehlte, konnte es Stunden dauern, bis ihr Vorarbeiter sie wiederfand. Die armen Büroangestellten allerdings gaben ihr Bestes, denn sie trieb die Angst; gleich am ersten Morgen waren auf einen Schlag dreißig von ihnen wegen »Arbeitsverweigerung« entlassen worden, desgleichen etliche Kontoristinnen und Maschinenschreiberinnen, die es abgelehnt hatten, als Serviererinnen auszuhelfen.
    Aus solchem Holz war also die Kolonne geschnitzt, die Jurgis anzuleiten hatte. Er tat, was er nur konnte, hastete hin und her, stellte die Leute in Reihen auf und zeigte ihnen die Handgriffe. Noch nie im Leben hatte er Befehle erteilt, wohl aber stets genügend erteilt bekommen, um zu wissen, wie man das macht; nicht lange, und er hatte sich in seine neue Rolle hineingelebt und kommandierte und brüllte herum wie ein Feldwebel auf dem Kasernenhof. Mit dem Gehorsam seiner Rekruten war es jedoch nicht weit her. »Hörn Sie mal, Meister«, sagte so ein bulliger Schwarzer etwa zu ihm, »wenn’s Ihn’ nich paßt, wie ich die Arbeit hier mach, könn’ Sie sich ja jemand anders suchen.« Und schon stellten sich die anderen um sie herum, hörten zu und murmelten Drohungen. Bereits nach der ersten Mahlzeit waren fast alle Stahlmesser verschwunden, und nun hatte jeder Neger eines – mit inzwischen angeschliffener Spitze – im Stiefel stecken.
    Jurgis erkannte sehr bald, daß sich in dieses Chaos keine Ordnung bringen ließ, und er paßte sich dem Geist an, der hier waltete – weshalb sollte er sich nutzlos heiser schreien? Waren Felle oder Därme eingeschnitten und dadurch unbrauchbar geworden, wäre es ein eitles Unterfangen gewesen, den Schuldigen ausfindig machen zu wollen, und verließ jemand mal seinen Arbeitsplatz und vergaß das Zurückkommen, dann war nichts damit gewonnen, wenn man ihn suchte, denn inzwischen liefen einem die anderen weg. Während des Streiks ging alles durch, und die Fabrikanten zahlten. Sehr bald kam Jurgis dahinter, daß die Sitte des Einlegens von Ruhepausen ein paar pfiffige Köpfe darauf gebracht hatte, sich an mehreren Stellen führen zu lassen und so die fünf Dollar pro Tag mehrfach einzustreichen. Als er einen Mann dabei erwischte, entließ er ihn auf der Stelle, doch zufällig befanden sie sich in einer stillen Ecke, und der Kerl hielt ihm augenzwinkernd einen Zehn-Dollar-Schein hin, den Jurgis dann auch nahm. Natürlich machte das bald Schule, und Jurgis verdiente dabei ein hübsches Sümmchen.
    Angesichts solcher Hindernisse schätzten sich die Fabrikanten schon glücklich, wenn sie die auf dem Transport verletzten Rinder und die seuchengefährdeten Schweine geschlachtet bekamen. Während der zwei, drei Tage langen Fahrt, bei Hitze und ohne Wasser, erkrankte öfter mal ein Schwein an Cholera und krepierte; noch ehe es seine letzte Zuckung getan hatte, fielen die anderen über dieses Tier her, und wenn

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