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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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sowie jene, die Jurgis auf den Versammlungen hatte reden hören. Natürlich ließ das jedesmal das Murren lauter und die Blicke zorniger werden. Drüben, wo die Rinderschlächter warteten, hörte Jurgis Lärm und sah einen Auflauf, und er eilte hinüber. Ein stämmiger Metzger, der Vorsitzende des Packing Trades Council, war schon fünfmal übergangen worden, und die Arbeiter kochten vor Wut; sie hatten drei Mann ernannt, die hineingehen und mit dem Direktor sprechen sollten, und diese Abordnung hatte das schon dreimal versucht, war aber jedesmal von den Polizisten zurückgeknüppelt worden. Dann ertönten Pfiffe und Buhrufe, die erst aufhörten, als der Direktor schließlich in der Tür erschien. »Entweder kommen wir alle zurück oder gar keiner!« riefen hundert Stimmen. Worauf er mit der Faust drohte und brüllte: »Ihr seid weggelaufen wie die Ochsen, und wie die Ochsen kommt ihr auch zurück!«
     
    Plötzlich sprang der stämmige Vorsitzende der Schlächter auf einen Steinhaufen und schrie: »Schluß, Jungs! Wir ziehen alle wieder ab!« Und so riefen die Rinderschlächter auf der Stelle einen neuen Streik aus. Sie sammelten ihre Kollegen aus den anderen Werken, wo man ihnen genauso mitgespielt hatte, und zogen dann die Packers’ Avenue hinunter, und die dichte Masse von Arbeitern dort jubelte ihnen stürmisch zu. Männer, die schon mit ihrer Arbeit an den Schlachtbändern angefangen hatten, ließen die Werkzeuge fallen und schlossen sich ihnen an; ein paar schnappten sich Pferde und galoppierten los, überall Bescheid zu sagen, und binnen einer halben Stunde war ganz Packingtown wieder im Streik und außer sich vor Wut.
     
    Von nun an herrschte eine wesentlich andere Stimmung; Packingtown war ein brodelnder Hexenkessel aufgepeitschter Gefühle, und dem Streikbrecher, der sich dort hineinwagte, erging es schlecht. Jeden Tag kam es zu ein paar Zwischenfällen, über die die Presse lang und breit berichtete, wobei sie die Schuld stets den Gewerkschaften zuschob. Dabei war es bereits vor zehn Jahren, als es in Packingtown noch gar keine Gewerkschaften gab, hier mal zu einem Streik gekommen; damals hatte Militär zu Hilfe gerufen werden müssen, und nachts hatte es beim Schein brennender Güterzüge regelrechte Straßenschlachten gegeben. Packingtown war seit jeher ein Herd der Gewalttätigkeit; am »Whiskey Point« mit seiner einen Fabrik und den zweihundert Kneipen waren Schlägereien an der Tagesordnung, besonders in der heißen Jahreszeit. Wer sich die Mühe gemacht hätte, sich das Tätigkeitsbuch der Polizeiwache anzusehen, hätte feststellen können, daß es in diesem Sommer aber weniger Gewalttätigkeiten gab als je zuvor – und das bei zwanzigtausend Arbeitslosen, die den ganzen Tag nichts weiter zu tun hatten, als über das ihnen zugefügte Unrecht nachzugrübeln! Was die Gewerkschaftsführer leisteten, davon redete niemand – wie sie sechs lange, von Hunger, Enttäuschung und Verzweiflung gezeichnete Wochen hindurch dieses riesige Heer zur Wahrung von Disziplin brachten, es am Umherziehen und Plündern hinderten, ihm immer wieder Mut machten und es bei der Stange hielten, wie sie hunderttausend Menschen, die in einem Dutzend verschiedener Zungen sprachen, zu lenken und zu leiten verstanden.
    Inzwischen hatten sich die Fabrikanten endgültig zum Aufbau neuer Belegschaften entschlossen. Jede Nacht wurden ein- bis zweitausend Streikbrecher herangebracht und auf die diversen Werke verteilt. Einige kamen vom Fach – Metzger, Einkäufer und leitende Angestellte aus Filialunternehmen sowie auch ein paar aus anderen bestreikten Städten desertierte Gewerkschaftler –, die große Mehrheit aber waren Neulinge: Neger aus den Baumwollgebieten des tiefen Südens, die man wie Schafe in die Fabriken trieb. Es bestand eine Verordnung, nach der die Verwendung von Gebäuden zu Beherbergungszwecken verboten war, sofern nicht eine ausdrückliche Genehmigung dafür vorlag und sie nicht über entsprechende Fenster, Treppen und Feuerleitern verfügten. Hier aber wurden in einen »Schminkraum« für Fleisch, der nur durch einen schrägen Stollen zugänglich war und keine Fenster sowie bloß eine Tür hatte, hundert Männer auf Matratzen auf dem Fußboden zusammengepfercht. Oben im zweiten Stock des »Schweinehauses« von Jones gab es einen fensterlosen großen Lagerraum, und in den stopfte man siebenhundert Leute, die auf den nackten Federböden der Feldbetten schlafen und diese tagsüber noch an die Nachtschicht abgeben

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