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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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sich, wie er kurz nach seiner Ankunft in Chicago beim Schweineschlachten zugeschaut, es grausam und brutal gefunden und sich dann beglückwünscht hatte, kein Schwein zu sein. Jetzt machte ihm sein neuer Bekannter klar, daß er damals doch eines gewesen sei – ein Schwein im Besitz der Fabrikanten: Aus dem Schwein wollen die den höchstmöglichen Profit herausholen, und genauso wollen sie das auch aus dem Arbeiter und aus der Gesellschaft. Was das Schwein davon hält und was es leidet, bleibe außer Betracht, und dieselbe Einstellung hätten sie auch gegenüber dem Arbeiter und dem Käufer von Fleisch. Das sei überall auf der Welt so, aber in Packingtown zeige es sich in konzentrierter Form; Schlachten scheine ganz besonders roh und grausam zu machen. Jedenfalls würden für die Fabrikanten hundert Menschenleben leichter wiegen als ein Cent Profit. Wenn Jurgis sich erst einmal mit dem sozialistischen Schrifttum vertraut gemacht habe, was nicht lange dauern wird, bekomme er den Fleisch-Trust aus verschiedensten Blickwinkeln zu sehen und werde überall das gleiche finden: daß der Trust die Verkörperung blinder, gefühlloser Habgier sei, ein mit tausend Rachen schlingendes, mit tausend Hufen stampfendes Ungeheuer – der inkarnierte Geist des Kapitalismus. Auf dem Meer des Handels segle er als Piratenschiff, habe die schwarze Flagge gehißt und der Zivilisation den Krieg erklärt. Bestechung und Korruption seien seine alltäglichen Methoden. In Chicago bilde der Magistrat nichts weiter als eine seiner Zweigstellen; der Fleisch-Trust stehle ganz offen Milliarden Liter städtisches Wasser, diktiere den Gerichten die Urteile gegen ordnungsstörende Streikbrecher und mache es dem Bürgermeister unmöglich, bei ihm auf Einhaltung der Bauvorschriften zu dringen. In der Bundeshauptstadt sei er stark genug, Prüfungen seiner Erzeugnisse entweder von vornherein zu verhindern oder aber die Regierungskommissionen zu unwahren Angaben in ihren Gutachten zu veranlassen; er verstoße gegen die Rabattgesetze, und droht eine Untersuchung, verbrenne er die Geschäftsbücher und schicke seine kriminellen Handlanger außer Landes. In der Wirtschaftswelt sei er eine alles unter sich zermalmende Walze; jedes Jahr treibe er etliche hundert Kleinbetriebe in den Bankrott und Menschen zu Wahnsinn und Selbstmord. Er habe die Viehpreise derart gedrückt, daß sich die Viehzucht, der Haupterwerbszweig ganzer Bundesstaaten, kaum noch über Wasser halten kann; er habe Tausende Fleischerläden ruiniert, die sich geweigert hatten, seine Produkte zu führen. Er teile das Land in Absatzregionen auf und setze in jedem die Fleischpreise fest; alle Kühlwaggons gehören ihm, und er verlange Unsummen für den Transport von Geflügel und Eiern, Obst und Gemüse. Mit den Millionen Dollars, die ihm wöchentlich zuströmen, suche er andere Großunternehmen unter seine Kontrolle zu bringen: Eisenbahn- und Straßenbahngesellschaften, Gas- und Elektrizitätswerke; die Lederindustrie und der Getreidehandel des Landes seien bereits in seinen Händen. Die Bevölkerung wäre über diese Ausweitung seiner Macht zuhöchst beunruhigt, wisse aber kein Mittel, ihn zu stoppen. Es sei Aufgabe der Sozialisten, das Volk aufzuklären und zu organisieren, es auf die Zeit vorzubereiten, da es die Fleisch-Trust genannte riesige Maschine in Besitz nehmen und dazu benutzen wird, Menschen Nahrung zu verschaffen, statt einer Bande von Piraten Reichtümer anzuhäufen.
    Es war schon lange nach Mitternacht, als Jurgis sich auf dem Fußboden von Ostrinskis Küche zur Ruhe legte, und doch dauerte es noch eine ganze Stunde, ehe er schlafen konnte, weil die Vision, die er sah, so herrlich war: Das Volk von Packingtown zog in die Union Stockyards ein und nahm sie in Besitz!

30
    Jurgis frühstückte noch mit Ostrinski und seiner Familie und ging dann zu Elzbieta. Er hatte keine Angst mehr davor – als er eintrat, sagte er nichts von dem, was er sich zu sagen vorgenommen hatte, sondern fing gleich an, Elzbieta von der Revolution zu erzählen! Zuerst glaubte sie, er habe den Verstand verloren, und sie brauchte Stunden, um diesen Verdacht loszuwerden. Doch als sie sich schließlich vergewissert hatte, daß er bis auf die Politik noch ganz normal war, machte sie sich weiter keine Sorgen. Jurgis sollte noch erfahren, daß Elzbietas Panzer für den Sozialismus absolut undurchdringlich war. Ihre Seele hatte sich im Feuer der Not verhärtet, daran ließ sich jetzt nichts mehr ändern; das Leben

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