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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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versuchte, auf der Straße eine Rede zu halten, war das sein Ende. In den Südstaaten werden Sträflinge als Arbeitskräfte an Bau- und andere Unternehmer vermietet, und wenn man nicht genug Sträflinge dafür hat, macht man eben welche. Adams wurde von einem Richter verurteilt, der ein Vetter jenes Spinnereibesitzers war, dessen Geschäfte er gestört hatte. Obwohl dieses Leben ihn fast umbrachte, war er klug genug, nicht aufzumucken, und nach Ablauf der Strafe verließ er mit seiner Familie South Carolina – den Hinterhof der Hölle, wie er es nannte. Sie hatten kein Geld für die Bahn, aber da gerade Erntezeit war, wanderten sie immer einen Tag und arbeiteten den anderen, und so kamen sie nach Chicago, wo sich Adams dann der Sozialistischen Partei anschloß. Er war zurückhaltend und kein großer Redner, aber er studierte viel; unter dem Hotelschalter hatte er immer einen ganzen Stapel Bücher liegen, und Artikel aus seiner Feder begannen in der Parteipresse Aufmerksamkeit zu erregen.
    Man sollte meinen, all dieser Radikalismus hätte dem Hotel schaden müssen, tatsächlich aber war eher das Gegenteil der Fall: Die Sozialisten kamen in Scharen, und die Handlungsreisenden fanden es in der Regel unterhaltsam. Seit jüngster Zeit stiegen hier auch zunehmend Viehzüchter aus dem Westen ab. Jetzt, da der Fleisch-Trust mit dem Trick arbeitete, die Preise erst heraufzusetzen, damit die Züchter riesige Mengen Vieh verfrachteten, und sie dann wieder zu senken und somit billig zu kaufen, was sie brauchten, konnte es einem Rancher passieren, daß ihm in Chicago nicht einmal genügend Geld blieb, seine Frachtrechnung zu bezahlen; er konnte sich daher nur ein billiges Hotel leisten, und wenn er dort im Vestibül einen Agitator reden hörte, so war das nicht zum Nachteil für ihn. Diese Burschen aus dem Westen waren für Hinds ein gefundenes Fressen — er scharte ein Dutzend von ihnen um sich und skizzierte ihnen »das System«. Natürlich dauerte es keine Woche, bis er Jurgis’ Lebensgeschichte kannte, und danach hätte er seinen neuen Hausdiener für nichts in der Welt mehr hergegeben. »Wissen Sie«, pflegte er mitten in einer Diskussion zu sagen, »einer meiner Leute hat dort gearbeitet und weiß genau, was die da machen.« Dann mußte Jurgis seine Arbeit, was es auch sein mochte, stehen und liegen lassen und herbeikommen. »Genosse Jurgis«, sagte Hinds, »erzähl diesen Herren doch mal, was du in den Schlachthallen erlebt hast.« Anfangs schwitzte der arme Jurgis dabei immer Blut und Wasser, und man mußte ihm die Worte förmlich aus dem Munde ziehen, mit der Zeit aber begriff er, worauf es ankam, und lernte schließlich, mit Verve vorzutragen, was er zu sagen hatte. Sein Arbeitgeber saß dabei und ermutigte ihn durch Ausrufe und beifälliges Kopfnicken. Wenn Jurgis das Rezept für die »Schinkenpaste« zum besten gab oder von den durch die Fleischbeschau nicht freigegebenen Schweinen erzählte, die in dem oberen Stockwerk in die »Verbrennungsöfen« hinabgelassen und im unteren Stock sofort wieder herausgeholt wurden, um in einen anderen Staat verschickt und dort zu Schmalz verarbeitet zu werden, schlug sich Hinds aufs Knie und rief: »Meinen Sie, so etwas könnte sich jemand bloß ausdenken?«
    Und dann erklärte Hinds ihnen, wieso einzig und allein die Sozialisten solche Mißstände abschaffen können, wieso es allein ihnen in bezug auf den Fleisch-Trust wirklich ernst sei. Bekam er darauf zur Antwort, das ganze Land sei deswegen ja schon in Aufruhr, die Zeitungen wären voll von Anklagen, und die Regierung unternähme bereits Schritte, holte Hinds zum K.-o.-Schlag aus. »Gewiß«, sagte er, »aber aus welchem Grunde wohl? Sind Sie denn so naiv zu glauben, das geschehe der Bevölkerung zuliebe? Es gibt hierzulande doch noch andere Trusts, die mit genauso räuberischen und ungesetzlichen Mitteln arbeiten wie der Fleisch-Trust: den Kohlen-Trust zum Beispiel, der im Winter die Armen frieren läßt, oder den Stahl-Trust, der den Preis von jedem Nagel in Ihren Schuhen verdoppelt, oder den Öl-Trust, der verhindert, daß Sie abends lesen. Weshalb, glauben Sie wohl, richtet sich der Zorn der Presse und der Regierung ausgerechnet gegen den Fleisch-Trust?« Und wenn der andere erwiderte, über den Öl-Trust gebe es doch ebenfalls genug Geschrei, fuhr Hinds fort: »Schon vor zehn Jahren machte Henry D. Lloyd die Wahrheit über die Standard Oil Company publik, aber man hat sein all die Fakten anführendes Buch untergehen

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