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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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lassen, so daß es kaum jemand kennt. Jetzt endlich haben zwei Zeitschriften Mut, den Fall Standard Oil wieder aufzugreifen, und was geschieht? Die Zeitungen machen die Autoren lächerlich, die Kirchen stehen den Verbrechern bei, und die Regierung – tut gar nichts. Und warum ist das nun alles beim Fleisch-Trust so ganz anders?«
    Hier gestand der andere gewöhnlich ein, daß er mit seinem Latein am Ende sei. Hinds erklärte es ihm dann, und es war ein Vergnügen mit anzusehen, wie dem Mann die Augen aufgingen. »Wenn Sie Sozialist wären«, sagte der Hotelier, »wüßten Sie, daß die Macht, die heute die Vereinigten Staaten wirklich regiert, der Eisenbahn-Trust ist. Wo Sie auch leben mögen, die Regierung Ihres Bundesstaates wird stets vom Eisenbahn-Trust gelenkt, und ebenso der Bundessenat. Und all die Trusts, die wir eben erwähnt haben, gehören zum Eisenbahn-Trust – nur der Fleisch-Trust nicht. Der bietet den Bahngesellschaften die Stirn, bringt sie täglich durch seine eigenen Bahnlinien um Profit, und deshalb schürt man den Zorn der Öffentlichkeit, läßt die Zeitungen nach Maßnahmen schreien und schickt die Regierung auf den Kriegspfad! Und ihr, das arme Volk, ihr seht zu und klatscht noch Beifall, weil ihr glaubt, man tue das alles für euch. Es kommt euch überhaupt nicht in den Sinn, daß dies in Wirklichkeit der Höhepunkt des schon ewig währenden ökonomischen Konkurrenzkampfes ist – die um Tod und Leben gehende Endphase des Kampfes zwischen den Magnaten des Fleisch-Trusts und der Standard Oil um Beherrschung und Besitz der Vereinigten Staaten von Amerika!«
     
    So sah Jurgis’ neuer Wirkungskreis aus; hier lebte und arbeitete er, und hier wurde seine Erziehung vollendet. Die Annahme, daß er dort nicht besonders viel zu tun brauchte, wäre ein Trugschluß. Für seinen »Genossen Hinds« hätte er sich eine Hand abhacken lassen, und dessen Hotel in Schuß und auf Hochglanz zu halten war die Freude seines Lebens. Daß ihm bei der Arbeit viele sozialistische Argumente durch den Kopf gingen, störte überhaupt nicht; im Gegenteil, Jurgis scheuerte die Spucknäpfe und polierte das Geländer noch einmal so hingebungsvoll, wenn er dabei innerlich mit einem imaginären Opponenten rang, der sich nicht überzeugen lassen wollte. Zu berichten, er habe sofort dem Trinken und seinen sonstigen schlechten Gewohnheiten abgeschworen, wäre zwar sehr schön, entspräche aber wenig der Wahrheit. Diese Revolutionäre waren keine Engel, sondern auch nur Menschen, noch dazu welche, die von ganz unten kamen und mit dem Unflat von dort behaftet waren. Manche von ihnen tranken, manche fluchten, manche aßen mit dem Messer; zwischen ihnen und der übrigen Bevölkerung bestand nur ein Unterschied: Sie lebten mit einer Hoffnung und wußten, daß sie für eine gute Sache kämpften. Es kamen Zeiten, in denen Jurgis die Vision sehr fern, sehr blaß und sehr klein erschien, ein Glas Bier dagegen aber riesengroß; doch wenn ein Glas zum anderen kam und schließlich zu viele daraus wurden, dann war da am nächsten Morgen etwas, das seine Reue weckte und ihn neue Vorsätze fassen ließ: Es sei doch eine offenkundige Schlechtigkeit, sein Geld zu vertrinken, während die Arbeiterklasse in der Finsternis umherirrt und auf Erlösung harrt; für das, was ein Bier kostet, könne man fünfzig Flugblätter kaufen, sie an die noch Unbekehrten verteilen und sich dann an dem Gedanken berauschen, wieviel Gutes dadurch erreicht wird. Auf solche Weise sei die Bewegung entstanden, und nur so könne sie Fortschritte machen; bloßes Wissen um sie nutze gar nichts, wenn man nicht auch für sie kämpfen will – schließlich handle es sich um eine Sache, die alle angeht, nicht bloß einige wenige! Aus dieser Erkenntnis ergab sich natürlich, daß jeder, der sich weigerte, das neue Evangelium anzunehmen, persönlich dafür verantwortlich war, wenn Jurgis die Erfüllung seines Herzenswunsches versagt blieb, und das gestaltete den Umgang mit ihm leider etwas schwierig. Er lernte einige von Elzbietas Nachbarn kennen, mit denen sie Freundschaft geschlossen hatte, und wollte sie samt und sonders gleich zu Sozialisten machen, wobei es etliche Male um ein Haar zu Handgreiflichkeiten kam.
    Für ihn selbst war alles so einleuchtend, so sonnenklar! Es schien ihm unbegreiflich, wie jemand das nicht ebenfalls sehen konnte. Alles, was im Lande etwas einbrachte – der Grund und Boden, die Gebäude darauf, die Eisenbahnen, die Bergwerke, die Fabriken und die

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