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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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Warenhäuser –, befand sich in den Händen einiger weniger Privatpersonen, nämlich der Kapitalisten, für die das Volk um Lohn arbeiten mußte. Und alles, was das Volk sonst noch erzeugte, diente nur dazu, das Vermögen dieser Kapitalisten zu vermehren, sie reicher und immer noch reicher zu machen, obwohl sie und die Menschen in ihrer Umgebung sowieso schon in unvorstellbarem Luxus lebten! Und lag es nicht auf der Hand, daß sich, wenn das Volk den Anteil der »Nur-Besitzenden« kürzte, der Anteil der Arbeitenden wesentlich vergrößern mußte? Das war doch so klar wie die Tatsache, daß zwei mal zwei vier ist – etwas Einfacheres ließ sich kaum denken! Und dennoch waren da Leute, die das nicht einsahen, die sich noch um alles mit einem stritten. Sie suchten einem weiszumachen, der Staat könne nicht so wirtschaftlich arbeiten wie Privatpersonen; damit kamen sie immer wieder an, bildeten sich ein, das wäre ein Argument! Es war ihnen nicht beizubringen, daß die »wirtschaftliche« Arbeitsweise der Privatunternehmer nichts weiter bedeutete, als daß man sie, das Volk, härter arbeiten ließ, sie stärker auspreßte und schlechter bezahlte. Sie waren Lohnsklaven und Knechte, abhängig von Ausbeutern, die nur den einen Gedanken hatten, soviel wie möglich aus ihnen herauszuschinden, und sie nahmen auch noch Anteil daran, machten sich Sorgen, daß dies nicht gründlich genug geschah! So etwas anhören zu müssen konnte einem wahrlich über die Hutschnur gehen.
    Aber das war noch nicht das Schlimmste. Da begann man mit irgendeinem armen Teufel zu reden, der seit dreißig Jahren in derselben Fabrik arbeitete und in all der Zeit doch nicht einen Cent hatte sparen können; der jeden Morgen um sechs aus dem Haus ging, um eine Maschine zu bedienen, und abends so abgearbeitet heimkam, daß er zu müde war, um sich auch nur auszuziehen; der nie im Leben eine Woche Urlaub gehabt, nie eine Reise gemacht, nie etwas Aufregendes erlebt, nie etwas gelernt, nie etwas gehofft hatte – und wenn man ihm dann etwas über den Sozialismus erzählen wollte, rümpfte er die Nase und sagte: »Das interessiert mich nicht – ich bin Individualist!« Anschließend suchte er einem einzureden, Sozialismus sei »Bevormundung durch den Staat«, und sollte er sich jemals durchsetzen, wäre es mit dem Fortschritt in der Welt vorbei. Über solche Argumente lachten ja die Hühner! Dabei war es, wie man sah, ganz und gar nicht zum Lachen – denn wie viele Millionen solcher armen, betrogenen Hungerleider gab es, deren Leben durch den Kapitalismus so verkümmert war, daß sie gar nicht mehr wußten, was Freiheit bedeutete! Und sie hielten es im Ernst für »Individualismus«, daß sie als jeweils zehntausendköpfige Herde den Befehlen eines Stahlmagnaten gehorchten, ihm ein Vermögen von einigen hundert Millionen Dollar schufen und sich dann dafür von ihm eine Bibliothek schenken ließen; während die Industrie zu übernehmen, sie zum eigenen Nutzen zu betreiben und sich selber Bibliotheken zu bauen für sie »Bevormundung durch den Staat« wäre!
    Manchmal war Jurgis die Qual, die ihm solche Dinge bereiteten, fast unerträglich. Doch man kam da nicht drum herum; es blieb einem nichts weiter übrig, als diesen Berg von Unwissenheit und Vorurteilen von unten her abzutragen. Man durfte so einen armen Kerl nicht als hoffnungslosen Fall aufgeben, sondern mußte, so sehr das auch die Geduld strapazierte, immer wieder mit ihm diskutieren und auf die Gelegenheit warten, ein paar Gedanken in seinen Kopf zu pflanzen. Und in der Zwischenzeit mußte man die Waffen schärfen – mußte man sich mit neuen Antworten auf seine Einwände wappnen und sich neue Fakten zurechtlegen, um ihm zu beweisen, wie töricht seine Ansichten waren.
    So gewöhnte sich Jurgis das Lesen an. Stets hatte er in der Tasche eine Broschüre oder eine Aufklärungsschrift, die ihm von jemandem geliehen worden war; in jeder freien Minute ging er einen Absatz durch, und wenn er dann weiterarbeitete, dachte er darüber nach. Außerdem las er Zeitungen und stellte Fragen über das, was er gelesen hatte. Einer der anderen Hausdiener des Hotels war ein gescheiter kleiner Ire, der über all das Bescheid wußte, was Jurgis wissen wollte. Bei der Arbeit erklärte er ihm die Geographie Amerikas, seine Geschichte, seine Verfassung und seine Gesetze; er vermittelte ihm auch einen Begriff vom Wirtschaftssystem des Landes, von den Eisenbahn- und anderen Aktiengesellschaften samt den Leuten, denen sie

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