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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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versiegte das Quieken zusammen mit dem Herzblut, bis schließlich jedes der nun toten Tiere an seinem Haken wieder weiterrückte, dann in einen riesigen Kessel mit kochendem Wasser plumpste und darin verschwand.
    Alles erfolgte derart methodisch, daß man gebannt zuschaute. Es war Schlachten per Fließband, Schweinefleischgewinnung mittels angewandter Mathematik. Dennoch konnte selbst der unsentimentalste Mensch nicht umhin, an die Tiere zu denken. Sie waren so arglos, trotteten so vertrauensselig herbei, wirkten in ihrem Protest so menschlich – und waren mit ihm so im Recht! Sie hatten nichts verbrochen, womit sie das verdient hätten, und zu dem Unrecht kam noch die Demütigung, die kaltblütige, unpersönliche Weise, wie man sie hier ins Jenseits beförderte, ohne auch nur die Vorspiegelung einer Abbitte, ohne Opferung einer einzigen Träne. Gewiß, die Zuschauer weinten schon manchmal, aber diese Schlachtmaschine lief ja auch, wenn gar keine da waren. Was hier vor sich ging, war wie ein Verbrechen, das in einem Verlies begangen wird, unbemerkt und unbeachtet, vor aller Augen verborgen und sogleich aus dem Bewußtsein verdrängt.
    Man konnte da nicht lange zusehen, ohne ins Philosophieren zu kommen, ohne auf Gleichnisse zu verfallen, Sinnbilder zu sehen und das Schweinequieken des ganzen Alls zu hören. Sollte es wirklich nirgendwo auf der Erde oder über der Erde einen Himmel für Schweine geben, wo sie für all ihre Leiden entschädigt werden? Jedes dieser Schweine stellte doch ein Geschöpf für sich dar; manche waren rosa, andere schwarz oder braun, wieder andere gefleckt; manche waren alt, manche jung, manche waren rank und schlank, manche dick und fett. Und jedes hatte seine Individualität, seinen eigenen Willen, seine Wünsche und Hoffnungen; jedes besaß Selbstgefühl und Würde. Vertrauensvoll und stark im Glauben war es seinen Geschäften nachgegangen, während die ganze Zeit ein schwarzer Schatten über ihm schwebte und ein schreckliches Verhängnis seiner harrte. Und jetzt schlug dieses Schicksal plötzlich zu, kam wie ein Raubvogel herabgestürzt und packte es am Bein. Brutal vollzog es seinen Willen an ihm, gefühllos gegen alles Protestieren und Schreien des Tieres, so als hätte dieses überhaupt keine Empfindungen – es schnitt ihm die Kehle durch und schaute zu, wie es sein Leben aushauchte. Sollte man da nun glauben, daß es nirgendwo einen Gott der Schweine gebe, dem diese Schweinepersönlichkeit teuer ist, dem diese Schreie und Todesqualen etwas bedeuten? Der das Schwein dann in die Arme nimmt und es tröstet, der es für sein wohlgetanes Werk belohnt und ihm den Sinn seines Opfers klarmacht? Ein Schimmer von all dem war wohl auch in den schlichten Gedanken unseres Jurgis, als er sich zum Weitergehen mit den anderen wandte und murmelte: »Dieve – was bin ich froh, kein Schwein zu sein!«
    Das tote Tier wurde maschinell aus dem Kessel geschöpft und fiel dann ins nächste Stockwerk hinunter, wobei es unterwegs einen wunderbaren Mechanismus mit zahlreichen Schabmessern durchlief, der sich automatisch seiner Größe und Form anpaßte. Hatte es ihn passiert, waren fast alle Borsten entfernt. Dann wurde es, ebenfalls maschinell, wieder aufgehängt und auf eine weitere Drahtseilfahrt geschickt, diesmal zwischen zwei Reihen von Männern hindurch, die auf einer erhöhten Plattform saßen und die jeder einen bestimmten Handgriff ausführten, wenn das Schwein an ihnen vorbeikam. Einer schabte die Außenseite eines Beins ab, ein anderer die Innenseite. Einer führte einen schnellen Schnitt um den Hals herum, ein anderer trennte mit zwei raschen Hieben den Kopf ab, der auf den Boden fiel und durch ein Loch verschwand. Einer schlitzte den Bauch auf, ein zweiter erweiterte die Öffnung, ein dritter zersägte das Brustbein, ein vierter löste die Innereien, ein fünfter zog sie heraus, und auch sie glitten durch ein Loch im Fußboden davon. Da saßen Männer, die die Seiten und den Rücken schabten, und andere, die den Körper innen sauberputzten und auswuschen. Blickte man den Saal hinunter, sah man eine hundert Meter lange Reihe hängender Tierleiber, die sich langsam vorwärtsbewegte, und alle Meter gab es einen Mann, der werkte, als hetze ihn ein Teufel. Hatte das Schwein dieses Ausschlachtband durchlaufen, war jeder Zoll von ihm mehrmals bearbeitet worden, und dann wurde es in die Kühlhalle gekarrt, wo es vierundzwanzig Stunden blieb und in der sich ein Fremder in einem Wald gefrierender Schweine

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