Der Dschungel
verirren konnte.
Doch ehe es dort hineindurfte, mußte es erst noch durch die Fleischbeschau, vorgenommen von einem bundesamtlich bestallten Herrn, der am Eingang saß und die Halsdrüsen auf Tuberkulose abfühlte. Dieser Mann machte keinen überarbeiteten Eindruck; er stand offenbar nicht unter der Angst, das Schwein könne weiterziehen, ehe er mit seiner Untersuchung fertig war. Zeigte man sich interessiert, ließ er sich bereitwillig in eine Unterhaltung ein und erklärte die tödliche Wirkung der Ptomaine in tuberkulösem Schweinefleisch, und während er so mit einem plauderte, konnte man schwerlich so undankbar sein und bemerken, daß derweilen zehn, zwölf Tierkörper ungeprüft an ihm vorbeirollten. Zum Zeichen seiner Würde trug der Fleischbeschauer ein imposantes silbernes Abzeichen; es verlieh der Szene etwas Amtliches, drückte allem, was bei Durham geschah, sozusagen den Stempel behördlicher Billigung auf.
Jurgis lief mit den anderen an dem Schlachtband entlang und bekam vor Staunen den Mund nicht mehr zu. Daheim in Litauen hatte er selber schon beim Schweineschlachten mitgemacht, aber nie hätte er sich träumen lassen, jemals zu erleben, daß ein einziges Schwein von mehreren hundert Männern ausgeschlachtet wird. Das erschien ihm einfach wunderbar, und er nahm alles ohne kritische Gedanken auf – selbst die nicht zu übersehenden Schilder, die die Arbeiter zu peinlichster Sauberkeit ermahnten. Es ärgerte ihn sogar ein wenig, daß der zynische Jokubas diese Schilder mit spöttischen Kommentaren übersetzte und sagte, er könne sie ja mal in die geheimen Räume führen, in die verdorbenes Fleisch zu chemischer Behandlung kommt.
Die Gruppe stieg ins nächste Stockwerk hinunter und kam dort zunächst durch Abteilungen, wo man die Neben- und Abfallprodukte verarbeitete. In der einen wurden die Gedärme entzottet und gewaschen, um dann als Wursthäute Verwendung zu finden; hier arbeiteten Männer und Frauen inmitten so ekelerregenden Gestanks, daß sich die Besucher die Nase zuhielten und weitereilten. In einem anderen Raum wurden all die Reste und Schabsei »ausgezogen«, das heißt, man kochte das Fett heraus, um aus ihm Schmalz und Seife herzustellen. Auch hier waren die Düfte so, daß die Gruppe nicht lange verweilte. Anschließend wurde sie durch jenen großen Saal geführt, wo das Zerteilen der Schweinekörper erfolgte, die ihre Zeit in der Kühlhalle hinter sich hatten. Als erste traten die »Spalter« in Aktion, die bestbezahlten Facharbeiter vom ganzen Werk, die bis zu fünfzig Cent Stundenlohn hatten und von morgens bis abends nichts anderes taten, als Schweine der Länge nach durchzuteilen. Nach ihnen kamen die »Zerleger«, Riesenkerle mit Muskeln aus Eisen; jeder von ihnen hatte zwei Gehilfen, die ihm die Schweinehälfte auf dem Tisch zurechtschoben und festhielten, während er sie durchhackte, und danach die Teile so hindrehten, daß er sie noch einmal durchhauen konnte. Seine Axt hatte eine halbmeterlange Klinge, und er hackte immer nur einmal zu, das allerdings so geschickt und mit so genau dosierter Kraft, daß die Schneide nicht durchschlug und stumpf wurde. Die einzelnen Teile glitten durch diverse klaffende Löcher im Fußboden ins darunterliegende Geschoß: in einen Raum die Keulen, in einen anderen die Vorderviertel, in einen dritten die Seitenstücke. Man konnte dorthin hinuntersteigen und die Pökelräume besichtigen, wo die Schinken in Bottiche eingelegt wurden, und auch die großen Räucherkammern mit ihren luftdichten Eisentüren. In weiteren Sälen bereitete man gepökeltes Schweinefleisch – in solchen Mengen, daß es sich in den riesigen Kellern bis zur Decke stapelte. In wieder anderen Abteilungen verpackte man Fleisch in Kisten und Fässer und wurden Schinken und Speckseiten in wasserfestes Ölpapier gewickelt und dann etikettiert und zugenäht. Von den Türen dieser Räume schoben Männer vollbeladene Karren hinüber zur Bahnrampe, wo Waggons auf Beladung warteten, und beim Hinausgehen dort stellte man plötzlich überrascht fest, daß man mittlerweile schon ins Parterre dieses gewaltigen Gebäudes gelangt war.
Dann begab sich die Gruppe auf die andere Seite der Straße, dorthin, wo die Rinder geschlachtet wurden – jede Stunde vier- bis fünfhundert Stück. Anders als in dem eben besichtigten Gebäude wurden hier sämtliche Arbeitsgänge in ein und demselben Stockwerk ausgeführt, und statt nur einer Reihe von Tierleibern, die an den Arbeitern vorbeizog, gab es
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