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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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eine Glas in der Mittagspause; dadurch kam er in den Ruf, ungesellig zu sein, und war in den Trinkstuben nicht allzu gern gesehen, so daß er nirgends Stammkunde wurde. Und abends ging er geradenwegs nach Hause oder half Ona und Stanilovas bei dem beschwerlichen Heimweg. Oft mußte er noch einmal hinaus, Feuerung zu holen, und kam dann von ein paar Straßen weiter mit einem Sack Kohle auf der Schulter durch die Schneewehen zurückgewankt. Zu Hause war es nicht sehr gemütlich – jedenfalls nicht jetzt im Winter. Sie hatten keinen einzigen Ofen, sondern nur einen kleinen Herd kaufen können, der, wie sich herausstellte, bei starker Kälte nicht einmal ausreichte, die Küche zu erwärmen. Das machte es tagsüber schwer für Teta Elzbieta und ebenso für die Kinder, wenn sie nicht zur Schule gehen konnten. Abends hockte sich die ganze Familie, das Essen auf dem Schoß haltend, um diesen Herd; Jurgis und Jonas rauchten anschließend noch eine Pfeife, und danach krochen sie alle in die Betten, um warm zu werden, denn das Feuer wurde jetzt ausgemacht, weil sonst zuviel Kohle verbraucht würde. Die ganze Nacht lang wehrten sie sich dann verzweifelt gegen die Kälte. Sie behielten die Sachen an, sogar die Mäntel, und legten auf die Schlafdecken noch alles drauf, was sie an warmer Kleidung besaßen. Die Kinder schliefen alle aneinandergekuschelt in einem Bett, doch selbst so konnten sie sich nicht warmhalten; die außen lagen, bibberten und schluchzten, krochen über die anderen hinüber und suchten in die Mitte zu kommen, was dann eine Rauferei auslöste. Dieses alte Holzhaus mit seiner undichten Verschalung war ganz anders als ihre Katen daheim mit den dicken, außen und innen lehmverputzten Wänden, und die eindringende Kälte hatte etwas von einem Lebewesen, so als wäre ein Geist im Zimmer. In den Mitternachtsstunden, wenn alles rings um sie schwarz war, wachten sie auf; vielleicht hörten sie draußen gellendes Schreien, oder aber es herrschte Totenstille, und das war noch unheimlicher. Sie spürten, wie die Kälte durch die Ritzen hereingekrochen kam und ihre todbringenden Eisfinger nach ihnen ausstreckte, und sie krümmten sich zusammen, machten sich ganz klein, um sich vor ihr zu verstecken. Doch es half alles nichts – sie rückte näher und näher, unaufhaltsam, ein Schreckgespenst aus den Höhlen des Grauens, eine kosmische Urkraft, die ahnen ließ, was für Qualen die dem Chaos und der Vernichtung anheimgegebenen Verdammten erwarten. Sie ließ und ließ nicht nach, Stunde um Stunde wanden sie sich unter ihrem grausamen Griff, einsam und allein. Niemand hätte auf ihr Schreien gehört, von nirgendwo konnten sie Hilfe oder auch nur Mitleid erhoffen. So ging das bis zum Morgen – bis sie hinaus mußten zu einem neuen Tag der Plackerei, wieder ein bißchen schwächer und ein Stückchen näher der Zeit, da sie an der Reihe waren, vom Baum geschüttelt zu werden.

8
    Doch nicht einmal dieser mörderische Winter vermochte den Keim der Hoffnung in ihren Herzen zu ersticken. Gerade in jener Zeit befiel Marija die große Liebe.
    Das Opfer war Tamoszius Kuszleika, der Geigenspieler. Alle lachten über die beiden, denn Tamoszius war klein und schmächtig, und Marija hätte ihn hochheben und unter einem Arm davontragen können. Aber vielleicht faszinierte ihn just das an ihr; Marijas Kraft war einfach überwältigend. Bei ihrer ersten Begegnung, damals auf der Hochzeitsfeier, hatte Tamoszius fast die ganze Nacht keine Auge von ihr gelassen, und als er später herausfand, daß sie in Wirklichkeit ein so sanftes Gemüt hatte wie ein Kind, schüchterten ihn ihre Stimme und ihre Heftigkeit nicht mehr ein. Er gewöhnte sich an, ihr sonntags nachmittags Besuche abzustatten. Sie konnte Gäste nur in der Küche empfangen, inmitten der Familie, und dort saß Tamoszius dann, den Hut zwischen den Knien, und sprach nie mehr als ein halbes Dutzend Worte hintereinander, wobei er auch noch rot wurde, ehe er sie herausbrachte, bis Jurgis ihm schließlich in seiner herzlichen Art auf die Schulter klopfte und rief: »Komm, Bruder, spiel uns ein Lied.« Da leuchteten Tamoszius’ Augen auf, er holte seine Fiedel hervor, schob sie unters Kinn und fing an zu spielen. Sofort entbrannte sein Herz und wurde beredt – es war beinahe schon unschicklich, denn er sah dabei Marija unverwandt an, bis sie errötend den Blick senkte. Der Musik von Tamoszius aber konnte man nicht widerstehen; selbst die Kinder lauschten andächtig, und Teta Elzbieta

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