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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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so Unentwegtes erschienen wie die Planeten oder die Jahreszeiten. Und jetzt stand es still! Man hatte ihr keinerlei Erklärung gegeben, die Sache keinen einzigen Tag vorher angekündigt; sie hängten lediglich eines Samstags eine Bekanntmachung aus, daß am Nachmittag alle Arbeiter ausbezahlt würden und die Fertigung für mindestens einen Monat ruhen werde. Marijas Arbeitsplatz war hin!
    Der Hochbetrieb für Weihnachten sei vorüber, antworteten die Kolleginnen auf Marijas Fragen, und danach gebe es immer eine Flaute. Manchmal fange die Fabrik nach einer Weile wieder an, allerdings nur halbtags, aber sicher sei das nicht – man habe schon erlebt, daß sie bis in den Sommer hinein geschlossen blieb. Dies Jahr ständen die Aussichten schlecht: Karrenschieber aus den Lagerhallen hätten gesagt, diese wären voll bis hoch zu den Decken, so daß die Firma gar keinen Platz für auch nur eine weitere Wochenproduktion hat; und man habe drei Viertel dieser Männer entlassen – ein noch schlimmeres Zeichen, denn das bedeute, daß keine Aufträge mehr erfüllt werden müssen. Das mit dem gutbezahlten Büchsenlackieren wäre großer Schwindel, sagten die Arbeiterinnen – da freue man sich wer weiß wie, daß man zwölf bis vierzehn Dollar in der Woche verdient und die Hälfte davon zurücklegen kann, doch dann müsse man das alles wieder drangeben, um in der arbeitslosen Zeit über die Runden zu kommen, und so sei der Lohn eigentlich bloß halb so hoch.
     
    Marija kam heim, und da sie Gefahr lief zu explodieren, wenn sie die Hände in den Schoß legte, wurde erst einmal gründlicher Hausputz veranstaltet, und dann zog sie los, Packingtown nach einer Arbeit abzuklappern, mit der sich diese Zeit überbrücken ließ. Da nahezu sämtliche Konservenfabriken zugemacht hatten und all die Arbeiterinnen ebenfalls auf Suche waren, kann man sich leicht denken, daß Marija nichts fand. Dann versuchte sie es in Geschäften und Lokalen, und als sie da keinen Erfolg hatte, wanderte sie sogar den weiten Weg hinüber zu der feinen Gegend am Seeufer, wo die reichen Leute in großen Palästen wohnten, und bettelte dort um irgendeine Arbeit, für die kein Englisch erforderlich war.
    Die Männer in den Schlachthallen bekamen die Flaute, die Marija arbeitslos gemacht hatte, gleichfalls zu spüren, wenn auch anders – auf eine Weise, die Jurgis endlich all ihr Verbittertsein verstehen ließ. Die Großbetriebe machten nicht so wie die bloßen Konservenfabriken einfach zu und entließen ihre Leute, sondern sie verkürzten die Arbeitszeit immer mehr. Sie verlangten stets, daß die Leute früh um sieben arbeitsbereit an den Schlachtbändern standen, obwohl es fast niemals etwas zu tun gab, ehe die Einkäufer draußen in den Pferchen ans Werk gegangen waren und ein paar Rinder über die Rampen hereinkamen. Da zeigte die Uhr bereits oft zehn oder elf, und das war schon immer schlimm genug, aber jetzt in der flauen Saison gab es mitunter bis zum späten Nachmittag für die Männer nichts zu tun. So mußten sie die Zeit vertrödeln, und das an einem Ort, wo das Thermometer manchmal dreißig Grad unter Null anzeigte! Die ersten Stunden suchten sie sich durch Umherlaufen oder spaßhaftes Herumbalgen warmzuhalten, aber lange vor Feierabend waren sie ganz durchkühlt und erschöpft, und wenn dann endlich das Vieh kam, so steifgefroren, daß jede Bewegung zur Qual wurde. Plötzlich erfüllte dann geschäftiges Treiben die Halle, und es begann das erbarmungslose Tempovorlegen.
    Es gab ganze Wochen, in denen Jurgis nach solchen Tagen nicht mehr als zwei Stunden angeschrieben erhielt, was rund fünfunddreißig Cent bedeutete. Oft hatten sie sogar bloß für eine halbe Stunde Arbeit und manchmal überhaupt keine. Der Durchschnitt waren sechs Stunden am Tag – womit Jurgis auf ganze sechs Dollar Wochenverdienst kam und diese sechs Stunden leisteten sie ab, nachdem sie bis eins und zuweilen auch bis drei oder vier an den Schlachtbändern herumgestanden hatten. Nicht selten traf kurz vor Feierabend noch ein Posten Rinder ein, den sie dann, ehe sie heimgehen konnten, schlachten mußten, wobei sie oft bei elektrischem Licht bis neun oder zehn Uhr arbeiteten, wenn nicht gar bis zwölf oder eins, und das ohne einen einzigen Augenblick Pause für einen Bissen Abendbrot. Sie waren völlig abhängig von dem Eingang an Vieh. Mitunter hielten sich die Einkäufer bewußt lange zurück, um bei den Händlern den Eindruck zu erwecken, daß sie keine Kaufabsichten hätten,

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