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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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damit sie den Preis drücken konnten. Aus irgendwelchen Gründen kostete Futter in den Yards weit mehr als draußen, und selber welches mitzubringen war nicht gestattet. Außerdem kamen jetzt infolge der schneeblockierten Straßen viele Wagen erst spätnachmittags an, und die Fabriken kauften die Rinder gleich noch am Abend, um sie billiger zu bekommen, und es trat dann ihre eherne Regel in Kraft, daß alles Vieh am selben Tag, an dem es gekauft wird, geschlachtet werden müsse. Da war nicht dran zu rütteln – wer weiß wie viele Abordnungen hatten deswegen schon bei den Direktionen vorgesprochen und sich sagen lassen müssen, das sei eben Vorschrift, und davon werde nicht abgegangen. So arbeitete Jurgis am Heiligen Abend fast bis ein Uhr nachts, und am Weihnachtstag stand er schon morgens um sieben wieder an der Schlachtbank.
    Das alles war schlimm genug, aber noch nicht das Schlimmste. Denn man bekam die schwere Arbeit nicht einmal voll bezahlt. Früher hatte Jurgis spöttisch gelächelt, wenn jemand sagte, diese großen Konzerne würden betrügen, nun aber ging ihm die bittere Ironie der Tatsache auf, daß gerade ihre Größe es ihnen ermöglichte, das ungestraft zu tun. Eine der Regeln an den Schlachtbändern lautete, daß jedem, der auch nur eine Minute zu spät kam, ein voller Stundenlohn abgezogen wurde, und das war für die Firmen einträglich, denn er mußte diese angefangene Stunde arbeiten, durfte nicht etwa herumstehen und warten. Erschien er andererseits zu früh, erhielt er das ebenfalls nicht bezahlt – obwohl die Meister oft zehn bis fünfzehn Minuten vor dem Heulen der Sirene anfangen ließen. Genauso handhabten sie es bei Arbeitsschluß: Für angebrochene Stunden gab es keinen Lohn. Man konnte ganze fünfzig Minuten arbeiten, doch wenn nicht genug zu tun war, um die Stunde vollzumachen, bekam man diese auch nicht bezahlt. Die Zeit kurz vor Feierabend war so jedesmal ein Glücksspiel – ein Kampf, der fast in einen offenen Krieg zwischen Meistern und Arbeitern ausartete, wobei die einen eine Arbeit möglichst schnell und die anderen sie möglichst langsam durchzuziehen suchten. Jurgis gab die Schuld daran den Meistern und Kolonnenführern, doch muß um der Wahrheit willen gesagt werden, daß sie es nicht immer aus eigenem Antrieb taten, denn auch sie wurden in Angst um ihre Stellung gehalten – und wenn einer von ihnen befürchten mußte, hinter dem Soll zurückzubleiben, was lag da näher, als die Kolonne eine Weile »für die Kirch« arbeiten zu lassen? Das war eine bitter ironische Redewendung unter den Männern, die Jurgis erst erklärt bekommen mußte. Der alte Jones hatte es mit der Religion gehabt und großzügige Spenden für Missionen gegeben, und bei allen Arbeiten, wo sie besonders geprellt wurden, zwinkerten die Männer einander zu und sagten: »Jetzt arbeiten wir wieder für die Kirch!«
    Auf Grund all dessen verblüffte es Jurgis nun nicht mehr, wenn er die anderen vom Kampf um ihre Rechte reden hörte. Ihm selbst war nach Kämpfen zumute, und als der Ire von der Schlachtarbeiter-Gewerkschaft ein zweites Mal zu ihm kam, empfing er ihn mit ganz anderer Einstellung. Jetzt erschien es Jurgis eine großartige Idee – daß sich die Arbeiter zusammenschlossen, um so den Fabrikanten Paroli bieten und sie in die Knie zwingen zu können! Er fragte sich, wer da wohl als erster drauf gekommen wäre, und als er hörte, daß das hier in Amerika etwas ganz Normales sei, dämmerte ihm einiges von der Bedeutung des Schlagwortes von dem »freien Land«. Der Gewerkschaftler setzte ihm auseinander, wie sehr alles davon abhänge, daß sie jeden einzelnen zum Beitritt bewegen und daß die Mitglieder fest zur Organisation halten. Jurgis erklärte darauf, was ihn betrifft, so werde er gewiß sein Teil dazu beitragen. Noch vor Ablauf eines Monats waren alle von der Familie, die arbeiteten, in eine Gewerkschaft eingetreten und trugen offen und stolz deren Abzeichen. Eine Woche lang waren sie selig vor Glück, denn sie glaubten, die Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft bedeute das Ende all ihrer Schwierigkeiten.
    Aber nur zehn Tage nach Marijas Beitritt schloß ihre Fabrik, und dieser Schlag machte sie alle wieder ganz unsicher. Sie konnten nicht begreifen, wieso die Gewerkschaft das nicht verhindert hatte, und gleich bei der ersten Versammlung, zu der Marija ging, stand sie auf und hielt darüber eine Rede. Es war eine Sitzung über organisatorische Fragen, die in englisch geführt wurde, doch das hielt

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