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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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konnte zwar sämtliche Türen und Fenster mit Fliegendraht versehen, doch draußen summten die Viecher wie Bienenschwärme, und sobald man die Tür öffnete, strömten sie wie von einem Windstoß getrieben herein.
    Sommer – das erweckt vielleicht Vorstellungen vom Lande und von freier Natur, von grünen Wiesen, goldenen Feldern und glitzernden Seen. Für die Packingtowner aber bedeutete es nichts dergleichen. Die große Yard-Maschine mahlte erbarmungslos weiter, ob die Wiesen ergrünten oder nicht; und die Männer, Frauen und Kinder, die Teile von ihr waren, bekamen niemals etwas Grünes, ja nicht einmal eine Blume zu sehen. Das blaue Wasser des Michigan-Sees lag nur vier, fünf Meilen ab, aber für sie hätten es genausogut so weit weg sein können wie der Pazifik. Sie hatten ja nur sonntags Zeit, und da waren sie dann zu müde, um Spaziergänge dorthin zu machen. Sie waren angekettet an die große Maschine, und das für ihr ganzes Leben. Die Direktoren, Abteilungsleiter und auch die Büroangestellten in den Yards kamen alle aus einer anderen Schicht, niemals aus der Arbeiterklasse; selbst die geringsten von ihnen sahen auf die Arbeiter herab. Ein armer Schlucker von Kontorist, der schon zwanzig Jahre lang bei Durham für ein Wochengehalt von sechs Dollar arbeitete und vielleicht noch einmal zwanzig Jahre dort arbeiten würde, ohne aufzusteigen, hielt sich dennoch für etwas Besseres und für so weit vom tüchtigsten Facharbeiter aus den Schlachthallen entfernt wie der Nordpol vom Südpol; er kleidete sich anders, wohnte in einem anderen Stadtviertel, erschien zu anderer Tageszeit zur Arbeit und sorgte auf jede Weise dafür, niemals mit einem Arbeiter in nähere Berührung zu kommen. Mag sein, daß das am Unappetitlichen, Abstoßenden der Arbeit selbst lag, jedenfalls waren die Leute, die mit ihren Händen arbeiteten, eine eigene Klasse, und man ließ sie das spüren.
    Gegen Ende des Frühjahrs machte ihre Konservenfabrik wieder auf, und so konnte man Marija abermals singen hören und klangen die Liebeslieder von Tamoszius nicht mehr so schwermütig. Doch hielt das nur kurze Zeit an, denn nach ein paar Monaten kam ein furchtbares Unglück über Marija: Genau ein Jahr und drei Tage, nachdem sie als Lackiererin angefangen hatte, verlor sie ihre Arbeit.
    Es war eine lange Geschichte. Marija ließ sich nicht ausreden, daß es wegen ihres Mitmachens in der Gewerkschaft sei. Die Fabrikanten hatten natürlich in allen Gewerkschaften ihre Spitzel; dazu kauften sie immer noch so viele von den Funktionären, wie sie für nötig hielten. So bekamen sie jede Woche Berichte über alles, was vorging, und erfuhren manches noch eher als die Mitglieder. Jeder, den sie als gefährlich betrachteten, mußte bald die Feststellung machen, daß er bei seinen Vorgesetzten plötzlich schlecht angeschrieben war, und Marija hatte sehr aktiv unter den Ausländern missioniert. Ob das nun der Grund gewesen war oder nicht, es stand fest, daß man Marija ein paar Wochen vor Schließung der Fabrik um den Lohn für dreihundert Büchsen betrogen hatte. Die Arbeiterinnen werkten an einem langen Tisch, und hinter ihnen ging eine Frau mit Notizbuch und Bleistift auf und ab und trug ein, wie viele Büchsen jede einzelne lackiert hatte. Diese Frau war natürlich auch nur ein Mensch und verzählte sich zuweilen, in welchem Fall man keinen Entschädigungsanspruch hatte – wer am Samstag weniger Geld ausgezahlt bekam, als ihm zustand, mußte sich damit wohl oder übel abfinden. Marija aber sah das nicht ein und schlug Krach. Nun hatte ein Krachschlagen von Marija nie etwas besagt; solange sie nur Litauisch und Polnisch konnte, hatte sie damit keinen Schaden angerichtet und war nur ausgelacht und zum Weinen gebracht worden. Inzwischen aber konnte sie schon auf englisch ausfallend werden, und so brachte sie diese Frau gegen sich auf. Wie Marija behauptete, zählte die von da an bei ihr mit Fleiß falsch. Wie dem auch war, ihre Zahlen stimmten nicht, und als das zum dritten Mal vorkam, ging Marija zur Offensive über, das heißt, sie trug die Sache der Aufseherin vor, und als sie dort kein Gehör fand, begab sie sich zum Abteilungsleiter. Das war zwar eine unerhörte Vermessenheit, aber der Abteilungsleiter sagte, er wolle sich darum kümmern, was Marija so deutete, daß sie ihr Geld bekommen werde. Nachdem sie drei Tage vergeblich gewartet hatte, sprach sie erneut bei ihm vor. Diesmal machte er ein finsteres Gesicht und erklärte, er habe noch keine Zeit

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