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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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ablief, und das war in den nächsten Tagen der Fall. Die bedauernswerte Elzbieta, die wieder einmal den Schlag abbekam, fragte, wieviel sie das kosten werde. Sieben Dollar, antwortete der Makler. Noch am selben Abend erschien Jurgis bei ihm, grimmig und entschlossen, und forderte ihn auf, ihm doch gefälligst klipp und klar mitzuteilen, was noch alles an Kosten auf sie zukomme. Der Vertrag sei ja unterschrieben, sagte er mit einem Sarkasmus, wie er der neuen Einstellung entsprach, zu der er gefunden hatte – der Vertrag sei ja unterschrieben, also könne der Makler jetzt durch Verheimlichen nichts mehr gewinnen. Und Jurgis sah dem Kerl dabei gerade in die Augen, und so versuchte der es gar nicht mit den üblichen Widerreden, sondern las ihm den Kontrakt vor. Laut dem mußten sie alljährlich die Versicherung erneuern, dann die Steuern abführen, etwa zehn Dollar im Jahr, und außerdem das Wassergeld bezahlen, etwa sechs Dollar im Jahr. (Jurgis nahm sich insgeheim vor, den Hydranten abzudrehen.) Das, sagte der Makler, sei alles, was neben den monatlichen Raten samt Zinsen noch anfällt – sofern die Stadt nicht plötzlich beschließt, Kanalisation anzulegen oder Bürgersteige zu bauen. An den Kosten dafür müßten sie sich dann beteiligen, ob sie diese Einrichtungen nun haben wollen oder nicht. Für die Kanalisation würden auf sie rund fünfundzwanzig Dollar entfallen und für den Bürgersteig etwa fünfzehn bei einem aus Holz und zirka fünfundzwanzig bei einem aus Zement.
    Jurgis ging wieder nach Hause; so niederschmetternde Auskünfte er auch erhalten hatte, irgendwie war es eine Erleichterung zu wissen, woran man war, so daß neue Forderungen einen wenigstens nicht mehr überraschen konnten. Er erkannte jetzt, wie sie gebeutelt wurden, aber sie saßen nun mal drin, und es gab kein Zurück. Sie konnten nur weitermachen, sich auf den Kampf einstellen und gewinnen – an ein Verlieren durften sie nicht einmal denken.
    Als der Frühling kam, wurden sie von der schrecklichen Kälte befreit, und das war viel wert; aber sie hatten auch schon mit dem Geld gerechnet, das sie nun nicht mehr für Kohle auszugeben brauchten – und gerade jetzt gingen Marijas Ersparnisse zu Ende, so daß von ihr kein Kostgeld kam. Außerdem brachte auch das warme Wetter Plagen mit sich; hier hatte jede Jahreszeit die ihren, stellten sie fest. Im Frühjahr gab es kalte Regenfälle, die die Straßen in Wasserläufe und Sümpfe verwandelten; der Schlamm war dann so tief, daß die Wagen bis zu den Radnaben darin versanken und ein halbes Dutzend Pferde sie nicht herauszuziehen vermochte. Da holte man sich auf dem Weg zur Arbeit unweigerlich nasse Füße – schon schlimm genug für Männer, mit deren Kleidung und Schuhwerk es nicht zum besten bestellt war, aber für Frauen und Kinder natürlich noch schlimmer. Und als der Hochsommer mit seiner drückenden Hitze kam, wurden die schmutzigen Schlachthallen zu reinsten Fegefeuern; einmal fielen an einem einzigen Tag allein bei Durham drei Mann tot um, getroffen vom Hitzschlag. Von morgens bis abends ergossen sich die Ströme von heißem Blut, bis dann bei der sengenden Sonne und der stehenden Luft der Gestank so übel wurde, daß er den stärksten Mann umwerfen konnte. Die Hitze ließ auch all die alten Gerüche einer ganzen Generation wieder zutage treten – die Wände, Balken und Pfeiler wurden ja niemals abgewaschen, und so backte auf ihnen eine jahrzehntealte Dreckkruste. Wer hier arbeitete, stank binnen kurzem derart nach fauligem Schmutz, daß man ihn schon aus zwanzig Schritt Entfernung roch; sich sauberzuhalten war einfach nicht möglich, und selbst der reinlichste Mensch gab schließlich auf und wurde gezwungenermaßen zum Dreckschwein. Nirgendwo gab es etwas zum Händewaschen, und mittags schluckten die Männer mindestens ebensoviel rohes Blut wie Essen. Während der Arbeit konnten sie sich nicht einmal das Gesicht abwischen – sie waren da so hilflos wie Neugeborene. Das mag belanglos erscheinen, aber wenn ihnen der Schweiß den Nacken hinunterrann und sie kitzelte oder sie von einer Fliege belästigt wurden, war das keine geringere Folter, als bei lebendigem Leib verbrannt zu werden. Ob es durch die Schlachthäuser oder durch die Mülldeponien kam, ließ sich nicht sagen, aber mit der Hitze brach eine wahrhaft ägyptische Fliegenplage über Packingtown herein. Sie zu beschreiben wäre unmöglich – die Häuser waren schwarz von Fliegen. Es gab kein Entrinnen vor dem Geschmeiß; man

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