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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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Patentmedizin nach der anderen. Da diese alle Alkohol oder sonstige Anregungsmittel enthielten, meinte sie, daß sie ihr guttaten, solange sie sie nahm. So jagte sie ständig dem Phantom Gesundheit nach und wurde dabei immer kränker, weil sie zu arm war, sich richtig auskurieren zu lassen.

11
    Den Sommer über hatten die Fleischfabriken abermals Hochbetrieb, und Jurgis verdiente wieder besser. Allerdings nicht so gut wie im Vorjahr, denn die Fabrikanten stellten mehr Leute ein. Jede Woche kamen neue – es lag regelrecht Methode darin, denn sie schienen die alle bis zur nächsten Flaute behalten zu wollen, so daß dann der einzelne weniger denn je hatte. Mit diesem System würden sie früher oder später sämtliche freien Arbeitskräfte von Chicago ausgebildet haben, die Arbeit bei ihnen zu tun. Wahrlich raffiniert ausgedacht: Die Arbeiter mußten die Neuen anlernen, die dann eines Tages kommen und ihren Streik brechen würden, und inzwischen wurden sie selbst so knapp gehalten, daß sie sich für diese Kraftprobe nicht wappnen konnten!
    Doch glaube niemand, daß die Vielzahl von eingestellten Leuten für irgend jemanden leichteres Arbeiten bedeutet hätte. Im Gegenteil, das Tempovorlegen wurde von Tag zu Tag schlimmer, in einem fort tüftelten sie neue Geräte und Einrichtungen zur Arbeitsbeschleunigung aus – und die waren wie die Daumenschrauben mittelalterlicher Folterkammern. Die Fabrikanten holten sich neue Schrittmacher und bezahlten sie besser; sie trieben die Arbeiter mit neuen Maschinen an – es hieß, in den Schweineschlachthallen werde die Durchlaufgeschwindigkeit der Tiere durch ein Uhrwerk gesteuert und dieses jeden Tag ein bißchen schneller eingestellt. Bei der Akkordarbeit drückten sie die Zeit, verlangten die gleiche Arbeit in weniger Stunden, aber zum selben Lohn, und hatten sich die Arbeiter an dieses neue Tempo gewöhnt, wurde der Lohn gesenkt, damit er wieder zu der gekürzten Zeit paßte! In den Konservenfabriken hatte man das schon so oft gemacht, daß die Arbeiterinnen schier verzweifelten; ihre Löhne waren innerhalb der letzten zwei Jahre um ein volles Drittel gesunken, und es braute sich ein Sturm der Unzufriedenheit zusammen, der jeden Tag losbrechen konnte. Nur einen Monat, nachdem Marija Zurichterin geworden war, gab die Fabrik, wo sie vorher gearbeitet hatte, durch Anschlag eine Lohnkürzung bekannt, nach der sich der Verdienst um fast die Hälfte verringerte. Die Empörung der Arbeiterinnen darüber war so groß, daß sie, ohne erst zu verhandeln, geschlossen hinauszogen und sich draußen auf der Straße organisierten. Eines der Mädchen hatte irgendwo gelesen, das passende Symbol für unterdrückte Arbeiter sei eine rote Fahne, und so machten sie sich eine, marschierten damit durch die ganzen Yards und schrien ihren Zorn in die Gegend. Ergebnis dieses Ausbruchs war zwar eine neue Gewerkschaft, der improvisierte Streik aber wurde binnen drei Tagen durch den Zulauf neuer Arbeitskräfte lahmgelegt, und das Mädchen, das die rote Fahne getragen hatte, wanderte ab in die Innenstadt, wo es in einem großen Warenhaus zu einem Wochenlohn von zweieinhalb Dollar unterkam.
    Jurgis und Ona hörten diese Geschichten mit Bestürzung – man konnte ja nie wissen, wann es einen selber treffen würde. Es war schon ein paarmal gemunkelt worden, daß einer der größten Betriebe den Lohn für ungelernte Kräfte auf fünfzehn Cent die Stunde kürzen wolle, und Jurgis war klar, wenn es dazu kam, wäre er auch bald dran. Er hatte inzwischen begriffen, daß Packingtown eigentlich gar nicht aus lauter Einzelfirmen bestand, sondern ein einziger großer Konzern war, der sogenannte »Fleisch-Trust«. Jede Woche setzten sich die Direktoren der Betriebe zusammen und verglichen ihre Unterlagen; so gab es für alle Arbeiter in den Yards nur eine Lohnskala und galt die gleiche Leistungsnorm. Jurgis bekam erzählt, daß sie auch die Einkaufspreise für Schlachtvieh sowie die Verkaufspreise für Fleischprodukte untereinander absprachen; aber das war etwas, wovon er nichts verstand und was ihn deshalb auch nicht kümmerte.
    Die einzige, die keine Lohnkürzung befürchtete, war Marija; in ihrer Naivität beglückwünschte sie sich, daß es in ihrer Fabrik kurz vor ihrer Einstellung gerade erst eine gegeben hatte. Marija entwickelte sich zur geschickten Fleischzurichterin, und es ging wieder aufwärts mit ihr. Im Verlauf des Sommers und Herbstes schafften es Jurgis und Ona, ihr die Schulden voll zurückzuzahlen,

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