Der Dschungel
und so legte sich Marija ein Sparbuch an. Tamoszius hatte ebenfalls eins; beide sparten um die Wette und begannen wieder damit, die Kosten für einen Haushalt durchzurechnen.
Der Besitz großer Reichtümer bringt jedoch Sorgen und Verpflichtungen mit sich, wie Marija bald erfahren mußte. Sie war dem Rat einer Freundin gefolgt und hatte ihre Ersparnisse bei einem Bankhaus in der Ashland Avenue eingezahlt. Natürlich wußte sie über diese Bank nichts weiter, als daß sie groß war und einen imposanten Eindruck machte – wie sollte eine arme ausländische Arbeiterin denn auch etwas vom Bankgeschäft verstehen, noch dazu bei der hiesigen Hektik der Finanzwirtschaft? Folglich lebte Marija in steter Angst, ihrer Bank könne etwas zustoßen, und sie machte morgens immer einen Umweg, um sich zu vergewissern, daß das Haus noch dastand. Sie dachte dabei vornehmlich an ein Feuer, denn sie hatte ihr Geld in Scheinen eingezahlt und fürchtete, wenn die verbrannten, würde die Bank ihr keine anderen geben. Jurgis machte sich deswegen über sie lustig; stolz auf sein überlegenes Wissen als Mann, erklärte er ihr, die Bank habe feuerfeste Tresore, und darin seien all ihre Millionen sicher verwahrt.
Als Marija eines Morgens ihren üblichen Umweg machte, sah sie jedoch zu ihrem Entsetzen vor der Bank eine Menschenmenge, die einen halben Block lang die Straße verstopfte. Vor Schreck wich ihr alles Blut aus dem Gesicht. Sie begann zu rennen, schrie den Leuten die Frage zu, was denn los sei, wartete jedoch die Antwort nicht ab, sondern lief weiter, bis das Gedränge so dicht wurde, daß sie nicht mehr durchkam. Es handle sich um einen »Run«, sagte man ihr hier, aber sie wußte nicht, was das ist, und wandte sich von einem zum anderen, suchte voll schrecklicher Angst herauszubekommen, was sie meinten. Sei mit der Bank was nicht in Ordnung? Das wisse niemand genau, aber alle nähmen es an. Könne sie ihr Geld nicht abheben? Das sei nicht klar, aber man befürchte nein; alle hier würden ihr Geld abheben wollen. Es sei noch zu früh, um etwas sagen zu können – die Bank mache erst in drei Stunden auf. In rasender Verzweiflung begann Marija, sich durch ein Gewühl von Männern, Frauen und Kindern, die alle genauso aufgeregt waren wie sie, zum Eingang vorzudrängen. Es war ein wüstes Tohuwabohu: Frauen kreischten, rangen die Hände und wurden ohnmächtig, Männer schlugen um sich und trampelten alles nieder, was ihnen den Weg versperrte. Mitten in dem Handgemenge fiel Marija ein, daß sie ihr Sparbuch ja nicht bei sich hatte, ihr Geld also ohnehin nicht bekommen würde, und so kämpfte sie sich den Weg hinaus frei und rannte zurück nach Hause. Das war ihr Glück, denn wenige Minuten später rückte ein Polizeikommando an.
Eine halbe Stunde später war Marija wieder da und mit ihr Teta Elzbieta, beide völlig außer Atem vom Laufen und ganz krank vor Angst. Die Menge hatte sich inzwischen zu einer ordentlichen Schlange formiert, die sich ein paar Querstraßen weit hinzog und von einer halben Hundertschaft Polizei flankiert wurde. Den beiden Frauen blieb nichts weiter übrig, als sich hinten anzustellen. Um neun Uhr machte die Bank auf und begann mit dem Auszahlen; aber was half das Marija, die dreitausend Leute vor sich stehen sah – genug, um ein Dutzend Banken bis auf den letzten Cent zu leeren?
Zu allem Übel setzte auch noch Sprühregen ein, der sie bis auf die Haut durchnäßte. Dennoch standen sie den ganzen Vormittag lang dort und krochen ihrem Ziel näher – auch den ganzen Nachmittag warteten sie, jetzt mit sinkendem Mut, weil sie sahen, daß das Ende der Geschäftszeit nahte und sie nicht mehr drankommen würden. Marija war entschlossen, unter allen Umständen auszuharren und ihren Platz zu halten, aber da fast alle anderen genauso dachten und die lange kalte Nacht hindurch dablieben, rückte sie nur wenig vor. Gegen Abend kam Jurgis; er hatte von den Kindern gehört, was los war, und brachte etwas zu essen sowie trockene Umschlagtücher, was ihnen das Warten ein bißchen erleichterte.
Am nächsten Morgen fanden sich schon vorm Hellwerden eine noch größere Menschenmenge sowie auch noch mehr Polizei ein. Marija hielt verbissen aus, gelangte gegen Nachmittag in die Bank hinein und bekam ihr Geld – alles in großen Silberdollars, ein ganzes Kopftuch voll. Jetzt, da sie es in den Händen hatte, schwand ihre Angst, und sie wollte es wieder einzahlen, doch der Mann am Schalter erklärte indigniert, von denen, die
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