Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
immer mehr Tropfen.
Die Wolken brachen auf, und silbernes Mondlicht beschien die Lichtung im Elfenwald. Milo stand auf Senethas ausgerollter Decke neben dem toten Baum. Von der Magierin fehlte jede Spur.
»Senetha, nein!« Dorns Ruf klang wie ein Wehklagen. Der Söldner stand unweit hinter Milo und starrte in die Äste des toten Baumes hinauf.
Milo hob den Kopf und erstarrte. Senethas lebloser Körper hing direkt über ihm in der lichten Krone. Ein Ast ragte aus ihrem Bauch. Sie war regelrecht aufgespießt worden. Blut rann an ihrem Bein herab und tropfte zähflüssig in Milos Gesicht.
Wolken schoben sich erneut vor den Mond, und es wurde wieder finster.
Milo hörte den Wind zwischen den Ästen heulen. Etwas Hartes traf ihn im Gesicht. Der Schlag besaß so viel Wucht, dass er Milo einige Schritt zurückschleuderte. Er stürze zu Boden. Seine Brust schmerzte, und die Beine wurden taub.
Kurz blitzte das Mondlicht abermals zwischen zwei Wolkenfetzen auf. Milo sah Dorn, der mit seinem Schwert auf die Äste des toten Baumes einhackte. Die Äste versuchten, den Söldner zugreifen und ihn in die Höhe zu heben. Immer und immer wieder schrie Dorn Senethas Namen, während er wie ein Berserker auf den Baum einhakte.
Dann verlor Milo das Bewusstsein.
Der Wind streichelte sein Gesicht.
36. NELF UND TISLO
Nelf schöpfte mit dem Kupferkessel das rostfarbene Wasser aus dem kleinen Tümpel in der Höhle. Angeekelt warf er einen Blick hinein.
»Soll ich dir einen guten Rat geben?«, sagte er zu seinem Bruder.
»Wenn ich nein sage, verschonst du mich dann damit?«
»Werd besser nicht krank hier unten, denn sonst wird Meister Nodrin dich ebenfalls mit dieser Brühe behandeln. Wie das ausgeht, hast du ja gesehen: Über die Hälfte seiner Patienten sind bereits tot.«
Sein Bruder machte keine Anstalten, Nelf zu helfen. Er stand am Eingang der Höhle und schaute in den dunklen Gang, der zurück in den Haupttunnel führte.
»Du kannst sagen, was du willst, die Zwerge planen irgendetwas gegen die Elfen«, verkündete er. »Das hier ist doch keine normale Mine. Hier gibt es nichts, was sie nicht auch überall anderswo bekommen würden.«
»Du machst dir zu viele Gedanken«, erwiderte Nelf. »Tu einfach, was sie dir sagen. Mit etwas Glück erlassen sie uns den Rest der Strafe, und wir kommen früher frei.«
»Das glaubst du doch nicht wirklich, oder?« Tislo trat einen kleinen Haufen mit dunklen Kieseln auseinander und beobachtete, wie sie sich über den Boden verteilten. »Wenn du mich fragst, sind wir hier ohne die Zustimmung von Mondur dem Großen. Dorimbur plant einen Alleingang. Sein Hass ist stärker als seine Loyalität gegenüber dem Clanoberhaupt. Wenn es eine Belohnung für die Sache hier gibt, ist es der Galgen, nichts anderes.«
Nelf füllte den zweiten Kessel und erhob sich.
»Machen wir, dass wir zurückkommen. Meister Nodrin wirdschon auf uns warten. Ich habe keine Lust, dass er sauer auf uns wird, sonst müssen wir wieder die Aborte reinigen.«
»Immer noch besser, als seinen schmutzigen Trinkliedern zu lauschen«, gestand Tislo.
»Aber nur, weil du nie mithilfst«, beschwerte sich Nelf.
»Ich würde dir ja gern einen Kessel abnehmen, aber dann hättest du nur noch einen, und das Ungleichgewicht ist schlecht für die Hüften. Ich will nicht schuld daran sein, dass du später als alter Mann ganz schief läufst und bei jeder Bewegung Schmerzen hast, wenn du meinen Garten jätest.«
»Träum weiter«, zischte Nelf.
Gemeinsam schlenderten sie durch den dunklen Tunnel zurück auf den gut beleuchteten Hauptstollen. Für eine Zwergenmine herrschte wenig Verkehr in den Tunneln. Wo sonst Loren von Ponys gezogen wurden, die den Abraum und Erze ans Tageslicht brachten, war hier Stille. Auch trafen sie auf keine Zwergenpatrouillen oder Arbeiter, die die letzte Schicht ablösen sollten, damit diese sich bei einem Humpen Bier und einer deftigen Mahlzeit ausruhen konnte. Diese Mine, wenn es denn überhaupt eine war, erinnerte an die erschöpften und längst verlassenen Goldschürfstollen im Nordwesten von Graumark.
Nelf und Tislo sollte es recht sein. Je weniger Zwerge sie trafen, desto weniger Arbeiten gab man ihnen. Das ständige Gequengel von Meister Nodrin – tut dies , tut das – reichte ihnen vollends.
Nach einer guten halben Stunde hatte sie das Lazarett erreicht. Meister Nodrin wartete sicherlich schon mit Ungeduld auf sie und würde ihnen sofort den nächsten Auftrag geben. An Ausruhen war kaum zu
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